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Foto: Lukas Gansterer
Eine Seilschaft fürs Leben

Wie man als Paar gemeinsam Berge erklettert

19. Oktober 2021
4 Min. Lesezeit

Zwischen Narziß und Goldmund: Seit zwei Jahren erklettern Barbara Zangerl und Jacopo Larcher als Paar die Berge. Immer mit dabei im gemeinsamen Rucksack: Vertrauen, Liebe, Sturheit – und Angst.

Autor: Michael Hufnagl für das Bergwelten Magazin Juni/Juli 2015

Narziß ist ebenso wenig der reine Geistesmensch wie Goldmund der reine Sinnenmensch – sonst bräuchte einer den anderen nicht, sonst schwängen sie nicht beide um eine Mitte und ergänzten sich.“ Das schrieb Hermann Hesse im Jahr 1931 über sein Werk.

Rund achtzig Jahre später liest der junge Südtiroler Jacopo Larcher „Narziß und Goldmund“ und legt sich fest: „Mein Lieblingsbuch.“ Dabei lächelt er und blickt spitzbübisch zu Barbara Zangerl.

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Beides tut er im Laufe des Gesprächs sehr oft. Lächeln. Und spitzbübisch blicken. Man möchte meinen, es ist die Rolle seines Lebens. Ein fröhlicher Lockenkopf, der vor allem eines will: hinauf. Berge erklettern.

Barbara Zangerl kneift Jacoko Larcher ins Ohr
Foto: Lukas Gansterer
Ohne Vertrauen in sich und den Partner geht beim Klettern gar nichts.

Ans Große Ganze herantasten

Da trifft es sich gut, dass er einer Frau aus Strengen am Arlberg begegnet ist, die es mit den Zielen genauso hält: über die Wand zum Gipfel. Jahrelang haben sie die Herausforderungen getrennt voneinander gesucht. Und einander bei allerlei Kletterevents freundlich gegrüßt. Bis sie bei einem Boulder-Festival ins Gespräch kamen. Und siehe da.

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„Der sieht ja nicht nur gut aus“, sagt sie sich. „Die ist eine Liebe“, sagt er sich. Wie es wohl wäre, einmal gemeinsam klettern zu gehen, sagen sie zueinander. Das war vor zwei Jahren. Seitdem schwingen sie beide im besten Hesse’schen Sinn um eine Mitte und ergänzen sich.

Er, 25 Jahre, ist Profikletterer. Sie, 26 Jahre, ist medizinisch-technische Fachkraft, aber ebenfalls auf dem Weg, beruflich in der Steilwand Fuß zu fassen, von den Gagen der Sponsoren und Ausrüster leben zu können. Was sie eint: Sie sind beide „brutal stur“.

Ob das eine Grundvoraussetzung für Extremkletterer ist, wissen sie nicht. Die Frage bleibt also brutal unbeantwortet. Barbara, eines von fünf Geschwistern, und Jacopo, ein Einzelkind, sind der klare Fall einer Liebesseilschaft. Sie wohnen zusammen in Bludenz, trainieren gemeinsam und entwickeln ihre Projekte oft im Duett.

Das bedeutet: gemeinsam Ziel sondieren, Route aussuchen, Aufstiegsstrategie entwickeln, die einzelnen Teile einer Wand visionär zusammenfügen, sich Teilstück für Teilstück an das große Ganze herantasten, erst drei Seillängen, dann fünf, dann die schwierigsten Passagen akribisch mit Händen und Füßen bearbeiten – bis zur innerlichen Bereitschaft zum Wagnis Durchstieg. Dafür braucht es Harmonie. Und eine sehr genaue Vorstellung von der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit einer Partnerschaft.

Barbara Zangerl und Jacopo Larcher ziehen sich an der Nase
Foto: Lukas Gansterer
Und ein wenig Spaß muss auch immer dabei sein.

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Die reine Intuition

Was eine gute Seilschaft ausmacht? „Vertrauen“, sagen Barbara und Jacopo gleichzeitig, „Vertrauen ist das Allerwichtigste.“ Was das fürs Klettern heißt? „Er weiß genau, wie er mich sichert, das ist eine echte Gefühlssache, damit man im Ernstfall nicht gegen die Wand knallt“, sagt sie.

„Dazu müssen wir uns gar nicht sehen. Zu antizipieren, was der andere jetzt und hier braucht, ist reine Intuition.“ Erst unlängst, auf dem Weg zu Barbaras größtem Glücksgefühl, darf Jacopo dieses Vertrauen ausreizen. Als Barbara die berühmte Trilogie, bestehend aus „Silbergeier“ im Rätikon, „End of Silence“ in Berchtesgaden und „Des Kaisers neue Kleider“ am Wilden Kaiser, vollenden will.

Der Durchstieg am schwierigen Fleischbankpfeiler verläuft lange Zeit nach Plan, ehe ihr in einer der letzten Seillängen eine tückische Passage zum Verhängnis wird. Sie stürzt ins Seil. Also zurück zum letzten Stand. Zwanzig Minuten Pause. Nächster Versuch. Wieder gelingt es nicht. Es folgen ein dritter und ein vierter Anlauf. Die kritische Phase ist längst erreicht. Mehr als zwei-, dreimal sollte ein Sturz ins Seil nicht passieren. Zu viel Zeit geht verloren. Und Energie.

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Jacopo weiß das. Spürt, dass sie zornig wird. Bleibt ruhig. Motiviert sie. Ob das nervig ist? „Nein“, sagt er. „Nur stressig. Und spannend. So ist Klettern. Du kannst es nicht erzwingen.“

Also gibt es Zweifel? „Ja“, sagt er. „Aber die zeige ich nicht. Sie ist so gut, und sie weiß selbst am besten, ob sie es kräftemäßig draufhat.“ Barbara bemüht sich um Gelassenheit, konzentriert sich neu, kommt wieder ein kleines Stück weiter. Und stürzt ein fünftes Mal. Sie erinnert sich: „Normalerweise musst du zu diesem Zeitpunkt längst aufgeben. Da ist schon viel zu viel Kraft weg, die Züge haben keine Lockerheit mehr. Und es wird dunkel.“

Barbara weiß, dass in den kommenden Tagen Wetterverschlechterung droht und es wohl keine zweite Chance geben wird. Weiter! Noch einmal! Sie stürzt ein sechstes Mal ins Seil. Und Jacopo? „Solange sie es versucht, denke ich nie, dass sie es nicht schaffen könnte.“ Er kennt sie gut. Sehr gut. Nach zehn Stunden in der Wand erreicht Barbara den Gipfel.

„Ich war total am Limit. Das war die reine Willensleistung, ein Sieg des Kopfs über den Körper. Erst wie ich oben war, bin ich völlig verfallen. Da wurde mir richtig schlecht. Und trotzdem war ich so glücklich.“ Jacopo lächelt wieder. Nickt.

Und sagt: „Es gibt in diesem Moment nichts Wichtigeres auf der Welt, als auf diesen Gipfel zu kommen.“ Er selbst schafft es drei Tage später, ohne zu stürzen. Den Kaiser können sie abhaken. Den Stolz im Rucksack. „Eine brutale Befriedigung.“

Barbara Zangerl sitzt auf der Schulter von Jacopo Larcher
Foto: Lukas Gansterer
Wir nehmen nichts auf die leichte Schulter.

Das Jetzt-erst-recht-Gefühl

Nur eine Erstbesteigung wäre möglicherweise noch beglückender. Laut Jacopo, dem es an Zielen und Träumen niemals fehlt, „unsere größte Sehnsucht“. Aber dieser besondere Schritt liegt noch in unbekannter Ferne. Bis zu dieser Mission gibt es noch ausreichend Touren, um der Erfüllung Zug für Zug näherzurücken. Die Angst spielt dabei im Übrigen eine große Rolle. Von wegen furchtlose Kletterer. Jacopo hat dazu eine klare Ausrichtung: „Angst ist wichtig. Wer keine Angst hat, kann auch die Gefahr nicht richtig einschätzen.“

Kein Widerspruch von Barbara. Im Gegenteil: „Es gab am Felsen schon oft genug Angstsituationen, wo man sich sagt, das tu ich mir nie mehr an. Aber kaum ist man entspannt und außer Gefahr, kommt auch schon das Jetzt-erst-recht-Gefühl.“ Solche Erfahrungen gehören dazu, machen stark. Möglicherweise sogar brutal stark. Wie heißt es? „Gegen die Infamitäten des Lebens sind die besten Waffen Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn macht Spaß, und die Geduld gibt Ruhe.“ Könnte von Barbara und Jacopo sein. Ist von Hesse.

Die Tirolerin Barbara Zangerl, Jahrgang 1988, kletterte als erste Frau die berühmte „Trilogie“ (Tirol, Rätikon, Bayern) und die Route „Prinzip Hoffnung“ auf der Bürser Platte in Vorarlberg. Der Südtiroler Jacopo Larcher, Jahrgang 1989, war 2011 italienischer Meister im Bouldern und ist seit 2013 Profikletterer. Erstbegehung der Mehrseillängenroute Zembrocal in La Réunion.

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