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Foto: Jens Schwarz
Colossalischer Sandstein

Die Sächsische Schweiz

• 28. Oktober 2021
5 Min. Lesezeit

Kleine Fluchten, große Felsen und die vielleicht schönsten Schlafplätze Deutschlands: Die Sächsische Schweiz ist die reine Inspiration – für berühmte Maler ebenso wie für ganz normale Wanderer.

Detlef Vetten für das Bergwelten-Magazin Herbst 2015

Vor einer Viertelstunde noch saß der Wanderer auf dem Gipfelplateau und konnte sich gar nicht einkriegen. Was für eine Aussicht! Die Berge standen wie riesige Monolithen in der böhmischen Ebene. Die Wände und Türme in der Nähe wirkten jäh und unnahbar.

Dafür waren die Wälder einladend, und die Sonne wärmte prächtig. Dann schlug das Wetter um. Dunkelgraue Schatten schieben sich nun übers Gestein des Carolafelsens. Der Vormittag verfinstert sich. Eine Regenwand rückt von Böhmen auf die Sächsische Schweiz zu. Wind kommt auf. Unten in den Wäldern krakeelen Vögel.

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Die wenigen Menschen auf dem Felsen stellen das Staunen übers prächtige Panorama ein; sie verstauen die Brotzeit im Rucksack und ziehen Anoraks über. Zeit zum Aufbruch. Gleich wird es ungemütlich hier oben. Es hat sich nichts geändert. So war’s hier immer, wenn die Natur ihre Kapriolen schlug. Schon im 17. Jahrhundert schrieb Christian Lehmann, der Chronist der Region:

„Wenn die Wälder jählings anfangen zu rauschen oder die Hohlkrähe kläglich schreiet oder die Raben und Krähen mit großem Geschrei gar niedrig hinschießen und auf die Wälder zueilen, bricht ein ungestümes Wetter ein.“ Ja. Ungestümes Wetter. Wer hätte das am Morgen noch geahnt?

Ausblick auf den Torstein.
Foto: Jens Schwarz
Von den Schrammsteinen genießt man einen großartigen Ausblick. Links der Hohe und der Mittlere Torstein, im Hintergrund der Falkenstein mit dem abendlich beleuchteten Bad Schandau.

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Boofen im Fels

Die Nacht war sternenklar, ein Genuss: so auf dem Rücken zu liegen, hinter sich die Felsen zu wissen, mit Blick auf den Wald und das Tal und die flackernden Lichter der Häuser im Sebnitztal. Still war sie, die Nacht. Kein Wind ging, ab und zu versuchte sich ein Kauz mit einem Klagelaut, ließ es dann aber wieder sein. Von weit unten im Tal war das Rauschen der Krinitzsch zu hören.

Es war eine dieser Nächte, die süchtig machen können: Die Hektik der Welt ist weg, der Wanderer liegt in seinem Schlafsack, guckt in die Sterne, verliert das Gefühl für die Zeit, lässt den Alltag außen vor. Dieses Lustgefühl haben die Menschen in der Sächsischen Schweiz kultiviert. „Boofen“ nennen sie diese ganz besonderen Schlafplätze – meist weitläufige Höhlen oder Aussichtsflächen unter felsigen Überhängen.

Es hat sich nichts geändert. Die „Boofen“ waren schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, dann während der großen Kriege und später in den Zeiten des real existierenden Sozialismus die kleinen Fluchten für die Liebhaber der Sächsischen Schweiz. Vor allem die Dresdner Bergfreunde zog es in die Felsenwelt links und rechts der Elbe bei Bad Schandau.

Schon im 18. Jahrhundert waren Maler hierhergekommen und hatten sich von der bizarren Szenerie inspirieren lassen. Die Schweizer Künstler Adrian Zingg und Anton Graff, 1766 an die Dresdner Kunstakademie berufen, fühlten sich an den Jura in ihrer Heimat erinnert und gaben der Region den Namen „Sächsische Schweiz“ – besser hätten es sich Tourismusexperten auch nicht einfallen lassen können.

Jahrzehnte später war der Meister der Romantik, der Maler Caspar David Friedrich, Stammgast in den Schrammsteinen und rund um den Großen Winterberg, an der Bastei und im Handwerkerdorf Krippen an der Elbe. Er empfand die Landschaft als kühn, schwindlig, fürchterlich, prächtig, werth und colossalisch.

Schon Friedrich und seine Zeitgenossen spürten, dass in der „Sächsischen“ ganz eigene Gesetze gelten. Der Künstler setzte sich dem bewusst aus. „Einmal wohnte ich eine ganze Woche im Uttewalder Grund zwischen Felsen und Tannen, und in dieser Zeit traf ich keinen einzigen lebenden Menschen.

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Diese Methode rate ich niemandem – auch für mich war das schon zu viel: Unwillkürlich tritt Düsternis in die Seele.“ Auf Neudeutsch würde dieser Friedrich’sche Selbstversuch wohl als „Extrem-Boofen“ zu bezeichnen sein.

Rolf beim Zeichnen der Karten.
Foto: Jens Schwarz
Rolf Böhms handgezeichnete Karten lassen kein Detail aus und gelten unter Kennern als Kunstwerke.
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Einfach nur hinauf war zu wenig

Auch in den Zeiten, als man mit dem Begriff „Kalter Krieg“ noch etwas anfangen konnte, waren politische Zwänge in der Sächsischen Schweiz aufgehoben. Die oberbayerischen Extremkletterer Alexander und Thomas Huber erinnern sich noch gut, wie sich der Vater um den Eisernen Vorhang wenig scherte.

„Das Freiklettern haben wir wirklich in der Sächsischen Schweiz bei Dresden gelernt. In den Alpen war es noch wenig populär. Da hat man einfach versucht, die Wände hinaufzukommen. Egal wie. In der Sächsischen Schweiz dagegen ging es irgendwann nicht mehr nur darum, hinaufzukommen – so hoch ist es ja dort nicht.

Da musste man sich schon anders sportlich motivieren, indem man die Haken nur zum Sichern benutzt hat, aber nicht zum Klettern. Wenn man nur an der natürlichen Felsoberfläche klettert, betrachtet man das Ganze nicht nur als Erlebnis, sondern auch als Sport.“

Rolf Böhm betrachtet die Sächsische Schweiz inzwischen weniger sportlich, dafür umso akribischer. Er leitet einen Karten- und Wanderführer-Verlag. Alles, was bei ihm in Druck geht, hat er selbst entworfen und zu Papier gebracht. Karten aus seinem Haus sind handgemacht, jedes kleinste Symbol hat er selbst zu Papier gebracht.

1.000 Stunden brauchte es, bis er mit seiner „Handgezeichneten Detailkarte von der Sächsischen Schweiz im Maßstab 1:30.000“ zufrieden war. Er steht im Büro seines Hauses am Ortsrand von Bad Schandau und breitet die Karte aus. Kenner der Gegend sagen, dass dem Mann da ein kleines Kunstwerk gelungen ist. Keine Quelle, keinen Felsen, keine Lichtung hat er übersehen, alle Wege und Steige sind akribisch festgehalten.

Zwei Wanderer spazieren durch den Wald.
Foto: Jens Schwarz
Das Wetter kann schnell umschlagen in der Sächsischen Schweiz. Damit sollte man bei einer Wanderung rechnen. Dann allerdings hat die Region auch ihren besonderen Reiz.

Es geht drunter und drüber

Es war kein leichtes Unterfangen – schließlich geht es in der Sächsischen Schweiz drunter und drüber. Felsenriff reiht sich an Felsenriff, dazwischen ragen Türme und Nadeln und Wände aus dem Wald. Das Wegenetz ist verschlungen und – wenn man sich nicht in die Materie vertieft – verwirrend.

Da sind die ausgesetzten schmalen Steige für die Schwindelfreien, da sind die versteckten Pfade zu den Klettersteigen, da sind die breiten, gut versicherten Wege und Leitersysteme für die Heerschar der nicht ganz so ambitionierten Wanderer. Verzeichnet sind auch die wichtigsten der rund 150 Aussichtspunkte in der Sächsischen Schweiz. Karten und Pläne zeichnete Rolf Böhm schon als kleiner Junge.

Mit zehn brachte er das Straßenbahnnetz von Dresden zu Papier. Er lernte als junger Mann beim Klettern die Sächsische Schweiz kennen, später zog er nach Bad Schandau. „Die Karte entsteht natürlich in ihrem Wesen nicht dadurch, dass ich hier mit der Feder jetzt mal so’n kleenen Strich mache, obwohl das natürlich genau die Linien sind, die dann als Wanderwege auf der Karte drauf sind, sondern das Eigentliche ist das Konvolut der Menge.

Wenn man das Stunden, Tage und Wochen macht, bekommt das Wort ‚Geduld‘ eine neue Dimension. Der Fliesenleger hat sich mal bei mir entschuldigt, dass er, als so viele Rohrleitungen zu umfliesen waren, so wenig Fläche geschafft habe. Und ich hab dann gesagt: ‚Brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen, ich schaff manchmal an einem ganzen Tag nur ein Stück Karte, das würfelzuckerstückgroß ist.‘“

Der schönste Tafelberg

Der Nationalpark der Sächsischen Schweiz ist auch für den Kartenkünstler Böhm eine Herausforderung. 400 Kilometer markierte Wanderwege, 49,9 Kilometer Radrouten, 755 Kletterfelsen – das alles muss erst einmal festgehalten werden, um anschließend von den Besuchern entdeckt und erwandert zu werden:

auf einer Wanderung zu den Schrammsteinen, von denen sich ein prächtiger Ausblick über die Sächsische Schweiz bietet, eine ideale leichte Einstiegstour; oder auf der großen Tagestour durch das Kerngebiet des Nationalparks. Keinesfalls versäumen sollte man auch den Lilienstein, den wahrscheinlich schönsten Tafelberg der Sächsischen Schweiz.

Denn hier hat sich nichts geändert seit dem 18. Jahrhundert. Die Region war damals und ist heute noch werth. Und prächtig. Und colossalisch.
 

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