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Foto: Julian Rohn
Hüttenportrait

Capanna Monte Bar in den Tessiner Alpen

• 21. Oktober 2021
5 Min. Lesezeit

Hoch über dem Val Colla liegt die Capanna Monte Bar. Wer zu ihr hinaufwandert, erlebt Ausblicke über Lugano, sowie eine geniale Verbindung von Design und Flair.

Rabea Zühlke aus dem Bergwelten-Magazin April/Mai 2020 für die Schweiz

Aus fast jeder Himmelsrichtung führt ein Weg zum Monte Bar. Steil von Corticiasca im Süden, lang und anstrengend von Isone im Norden oder von Bogno über den Passo di Pozzaiolo im Osten.

Trotzdem ist der 1.816 Meter hohe Gipfel, der über den grasbewachsenen Bergkämmen hoch über dem Luganersee aufragt und fantastische Ausblicke schenkt, selten das Ziel. Ganz anders der holzverkleidete Kubus mitten im Hang, 200 Meter unterhalb des Monte Bar, der schon von Weitem sichtbar ist – wie ein Magnet zieht er die Wanderer, Mountainbiker und Ausflügler an.

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„Die meisten kommen nicht zum Wandern hoch, sondern wegen der Hütte“, sagt Alessandro Müller und stellt ein paar Flaschen Craftbier auf den Tisch, als wir im Spätsommer auf die sonnige Terrasse kommen.

Nach dem Umbau und bis zum Saisonabschluss 2019 hat der ehemalige Sterne-Koch die Capanna Monte Bar zusammen mit seiner Partnerin bewirtschaftet. Auf der Sonnenterrasse sitzt eine Gruppe junger Leute wild gestikulierend an einem der massiven Holztische.

Ihre T-Shirts sind mit den Namen verschiedener Rockbands oder des  Maturajahrgangs bedruckt, sie trinken Bio-Zitronenlimonade aus hübschen Glasflaschen mit Bügelverschluss. Einige Meter weiter genießt eine sportlich gekleidete Frau den Blick auf den Luganersee. Ihr Hund interessiert sich allerdings weit mehr für den selbstgebackenen Hüttenkuchen, der bis nach draußen duftet.

Vorbei geht’s an der Betonmauer, in der die Bau- und Umbaujahreszahlen „1936, 1993, 2016“ der Capanna Monte Bar verewigt wurden. Unvermittelt stehen die Besucher im Herzen der Hütte: rechts die Küche, links die Stube.

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Auf dem aus Fichtenholz gefertigten Tresen stehen hausgemachte Backwaren: traditionelle Brottorte, Aprikosen und Apfeltarte, Rüebli- und Schoggikuchen

Die Hütte eingebettet in üppige Graslandschaften.
Foto: Julian Rohn
Durch das üppige Grün der Tessiner Alpen führen viele Wege zu der Hütte, die wie ein Würfel aus Holz und Glas in der Landschaft thront.

Beliebtes Ziel der Luganesi

Nachdem die erste Skischule des Kantons Mitte der 1930er-Jahre immer mehr Besucher auf den Monte Bar lockte, wurde 1936 die Capanna Monte Bar errichtet. Die Hütte entwickelte sich im Winter zu einem beliebten Ausflugsziel der Luganesi.

An Sonntagen konnte man auf der Piste über 300 Skifahrer zählen. Aber auch im Sommer bot sich die Capanna als ideale Ausgangsbasis für Bergtouren an. 1993 wurde die Hütte schließlich renoviert – das in die Jahre gekommene Haus entsprach schon längst nicht mehr den Standards einer modernen Berghütte.

„Sie war zu alt, zu klein und hat den Brandschutzvorschriften nicht mehr entsprochen“, sagt Architekt Carlo Romano, der zusammen mit seinem Kollegen Oliviero Piffaretti die Baupläne der neuen Hütte entwarf. „Deswegen wollte der Tessiner Alpenverein die alte Hütte abreißen und eine neue bauen.“

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Auf dem Fundament der alten befindet sich seit 2016 die große Außenterrasse. Direkt daneben steht der imposante Würfel aus Holz und Beton mit seinen riesigen Panoramafenstern – hoch über dem Luganersee. Von hier schweift der Blick von den Gipfeln der Tessiner Alpen zu den Walliser Viertausendern.

Capanna Monte Bar

Wie die meisten Besucher fährt Carlo mit dem Mountainbike die knapp 800 Höhenmeter über die teils asphaltierte Straße hoch zur Capanna Monte Bar. Einzig der fehlende Motor am Bike unterscheidet ihn von den zahlreichen anderen Tagesgästen.

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Er stellt sein Sportgerät im Fahrradkeller zwischen Reparaturkasten und Ladestation für E-Bikes ab und betritt die Stube. „Wir hatten mehrere grundlegende Ideen für die Hütte“, erklärt Carlo, als er sich am Tresen ein Bier bestellt. „Der erste Gedanke war, dass man zwar normalerweise Hütten über einen oder zwei Wege erreicht – nicht aber die Capanna Monte Bar: Man erreicht sie über zahlreiche Wander- und Mountainbike-Routen. Deswegen haben wir die Form eines Würfels gewählt: Die Hütte hat keine Orientierung.“

Allein fünf ausgeschriebene Wanderwege führen auf die Capanna Monte Bar – daneben viele Varianten von allen Himmelsrichtungen: in steilen Serpentinen von Corticiasca aus, auf dem historischen Weg von Bidogno oder über die Wanderung Sentiero Lago di Lugano, auf dem einst die Schmuggler unterwegs waren.

Der Architekt mit seinem Bike vor der Hütte.
Foto: Julian Rohn
Tagesziel ist meist der Hüttenneubau, den die zwei Tessiner Architekten Carlo Romano (im Bild) und Olivierio Piffaretti im Auftrag des Schweizer Alpen-Clubs geplant haben.

Der Wettbewerb für den Hüttenneubau wurde 2014 mit dem Namen „Barlume“, auf Deutsch „Schein“, vom Schweizer Alpenverein ins Leben gerufen. Die Idee des jungen Architektenduos aus Mendrisio war einfach – und essenziell: Das neue Gebäude sollte modern, funktionell und ökologisch sein, ohne den Charakter einer Hütte zu verlieren.

„Während der Planung haben wir uns gefragt: Was macht ein gutes Gebäude aus und was eine Hütte?“, sagt Carlo. „Wir wollten eine Hütte bauen, die wie ein modernes Gebäude aussieht, aber sich innen wie eine klassische Hütte organisiert.“ Aus diesem Grund ist der Ofen der Mittelpunkt: „Hier findet alles statt: Man isst, feiert und sitzt beisammen.“

Die Hauptstruktur der Capanna Monte Bar besteht aus Lärchenholz, das Untergeschoss sowie der Kamin sind aus Beton gegossen. Wie auf einer klassischen Berghütte befindet sich unten ein Materialraum, in der Mitte die Stube mit großem Ofen, oben die Schlafräume.

Doch spätestens, wenn man an den großen Panoramafernstern steht, wird der Vergleich zu einer herkömmlichen Berghütte hinfällig. „Wir haben viel mit Kontrasten gearbeitet: Um den Kamin sitzt man beisammen und hat einen 180-Grad-Ausblick in die Berge“, erklärt Carlo. „Doch oben ist es das genaue Gegenteil.“

So offen der Blick von der Terrasse und der Stube ist, so klein und gemütlich sind die Schlafräume mit den 42 Schlafplätzen in Doppel- oder kleineren Mehrbettzimmern. „Kleine Nischen statt riesige Bettenlager“, fügt der Tessiner hinzu. Doch selbst in den Nischen bleiben die Berge im Mittelpunkt: Die schmalen Fenster schließen perfekt mit dem Horizont ab und bieten Ausblicke auf die Tessiner Berge.

Hütte mit Hotelflair

„Questa casa non è un hotel“ – übersetzt: „Diese Hütte ist kein Hotel“ – steht mit Kreide an den unteren Stufen, die zur Stube führen – daneben ein Smiley. Die Capanna Monte Bar ist aber auch keine klassische Hütte. „Wir haben über 2.600 Übernachtungen im Jahr gemacht, aber am Ende sind die Einnahmen vor allem über das Restaurant gekommen“, erklärte Alessandro noch im Sommer.

Auch das neue Pächterpaar setzt auf gute regionale sowie saisonale Produkte und Gerichte. „Und dazu soll noch die ein oder andere Bündner Spezialität kommen“, so der neue Hüttenwart Martin Meiler. Seit Dezember sind die studierte Hotelmanagerin Mandy Warnke und der Zimmermann und Baubiologie Martin Meiler auf der Capanna Monte Bar.

„Die Hütte, die Lage und die Region – uns hat das ganze Paket begeistert“, sagt Martin. Dabei ist die Capanna Monte Bar ein Vier-Saisonen-Betrieb: Besonders im Winter, wenn nicht genug Schnee zum Skifahren liegt, kommen viele Gäste hoch. Deswegen möchten Mandy und Martin das Angebot rund um die Hütte erweitern und die Räumlichkeiten wie den Seminarraum wiederbeleben.

Ein gefragtes Angebot, das bereits der ehemalige Hüttenwart Alessandro Müller eingeführt hatte, bleibt natürlich erhalten: An jedem Vollmondabend wird zu einem speziellen Vollmond-Dinner geladen.

Die Capanna Monte Bar in der Abenddämmerung.
Foto: Julian Rohn
Die markante Konstruktion soll wie eine Laterne funktionieren. So strahlt das warme Licht der Hütte bis spät in die Nacht ins Tal.

Mehr Komfort

Nach dem Dessert lehnt sich Carlo auf dem Holzstuhl zurück. „Eigentlich wollten wir typische Hocker wie auf einer Berghütte, doch wegen der älteren Gäste sollte es ein bisschen mehr Komfort geben“, sagt er. Das Architektenduo hat nicht nur die Pläne für den Bau gefertigt, sondern auch die komplette Inneneinrichtung geplant: angefangen von den massiven Holztischen über die Stühle bis hin zu den Betten.

Nur eine Sache gefällt dem Tessiner Architekten nicht: die herunterhängenden Lampen über dem Tisch. Doch die Hauptsache ist: Sie spenden Licht. Denn die Hütte soll, wie der Projektname des Architekturwettbewerbs „Barlume“ schon sagt, wie eine überdimensionierte Laterne funktionieren. So strahlt der eindrückliche Würfel mit seinen riesigen Panoramafenstern in der Dunkelheit bis ins Tal – und das von jeder Seite.

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