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Luis Töchterle

Gurgeln in geometrischen Grenzen

7. April 2015
2 Min. Lesezeit

Luis Töchterle vermisst die wilden Bäche in Tirol – und findet sie ausgerechnet in Ostösterreich.

Hier ist die Welt noch in Ordnung: Ein Bergbach in Tirol.
Foto: iStock.com/hsvrs
Hier ist die Welt noch in Ordnung: Ein Bergbach in Tirol.
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Für krankhaften Ordnungssinn hat Sigmund Freud eine griffige Erklärung parat. Wer in seiner analen Phase zu strenger Sauberkeitserziehung ausgesetzt war, kann im späteren Leben „Ungeordnetes“ schwer aushalten und reagiert darauf mit Zwangsverhalten. Der alte Psychohaudegen hilft mir mit seiner Hypothese, die Betonexzesse von Wildbachverbauern milder zu beurteilen. Deren besonders bemühte Eltern sind nach Freud die Ursache dafür, dass üppiger Staudenwuchs, unkontrollierte Schotterbänke und zufallsgesteuertes Blockwerk an vielen Bachläufen weichen mussten. Sauber ausgefugte Steinkanäle und geometrisch strenge Treppenstufen hatten den angstmachenden Wildwuchs zu ersetzen.

Leider hat der liebe Sigmund meine grundlegende Abneigung gegen derart zu Tode regulierte Bächlein nicht erklärt. Ich werde mit meiner Vorliebe für Wanderwege, die an wilden Wasserläufen entlangführen, ohne tiefenpsychologische Hilfe allein gelassen. Auch für die Reisekosten, die mich aus dem Bannkreis der außergewöhnlich erfolgreichen Tiroler Wildbachverbauung wegführen, muss ich ganz alleine aufkommen. In meinem Heimatbundesland kann ich den Freud´schen Betondenkmälern nur entkommen, wenn ich hoch genug hinaufsteige. Die obersten Quell- und Gletscherbäche dürfen noch in willkürlichen Schlänkern hinab fließen. Dort hinaufzusteigen ist allerdings recht anstrengend.

Natürlich brauchen Siedlungen und Straßen Schutz. Doch im Schatten der schützenden Verbauungen wuchern nicht selten Betonwulste anstelle der Bäche, die sie nun begrenzen. Infrastruktur kann wirksam geschützt und der Bach trotzdem nicht nur als Gefahr wahrgenommen werden. Renaturierungen zeigen das gut, eintönige, glatte Betonrinnen eher nicht.

Meine Suche nach talnahen Bachwanderungen, an denen es noch gurgelt, murmelt und plätschert, anstatt nur gleichförmig zu rauschen, war oft erst jenseits von Salzburg erfolgreich. Oberösterreich kann ich da guten Gewissens empfehlen. In Niederösterreich und der Steiermark war die Sauberkeitserziehung offenbar auch nicht so streng. Vorarlberg und Kärnten muss ich erst noch erkunden.

Spontan fällt mir zum Beispiel der Weg entlang der Steyrling hinaus zur „Rinnenden Mauer“ in der Steyrschlucht ein, oder die Tormäuer und Ötschergräben. Hier geht mir das Herz auf. Sogar richtige Wasserfälle gibt´s dort, wenngleich sie nur Miniaturausgaben der Kaskaden an „meinem“ Stubaier WildeWasserWeg sind. Auch ein paar verschlungene Weglein in Roseggers Waldheimat sind mir in bester Erinnerung.

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In eine wirklich zauberhafte Welt entführen Bachwanderungen nördlich der Kalkalpen. Moosiges Urgestein, dunkle Wälder und weißschäumende Gumpeneinläufe sorgen für eine unwiderstehliche Ästhetik. Nach einer Tour durchs Pesenbach- oder Rannatal muss ich mich erst wieder in unserer Straßen- und Strommastenwirklichkeit zurechtfinden wie nach einem schönen Traum oder einer Portion Universumkitsch. Den schwierigen Übergang aus dem Entrischen mit „Teufelsbottich“ oder „Kerzenstein“ ins profane Dasein erleichtert ein Fischgericht im nahen Gastgarten des Fisch-Gasthofs Aumüller in Obermühl. Der Magen ist schließlich das zentrale Organ für unsere Befindlichkeit. Genau an der Nahtstelle zwischen Es und Ich, würde Freud wohl sagen.

Zum Autor: Luis Töchterle ist nicht nur Stubaier Local, sondern auch Österreichkenner, passionierter Fliegenfischer, ästhetischer Skispurenleger und philosophischer Gesprächspartner. Ihm liegt viel an der Natur und
einem sinnvollen und nachhaltigen Umgang damit. Er hat viele Jahre das Jugendreferat des ÖAV geleitet. Nun genießt er seine Freizeit.

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