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Berggedicht

Eugenio Montale: „Steilhang“

• 4. Juli 2018
1 Min. Lesezeit

Wir geben euch wieder ein Berggedicht mit in die Woche. Diesmal: „Steilhang“ vom italienischen Schriftsteller Eugenio Montale (1896-1981).

Manarola in der Provinz La Spezia in Ligurien
Foto: mauritius images / age fotostock / Brian Jannsen
Der Ortsteil Manarola in der Provinz La Spezia in Ligurien
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Steilhang

„Es kommt ein Trompetenton

vom Hange, der sich herabsenkt

und sinkt herab zu der See,

die bebend sich auftut, ihn aufnimmt.

Beliebt auf Bergwelten

Es steigt in den Schlund zu den Winden

das Wort, mit den Schatten vereint,

Auch beliebt

und der Grund löst es auf an Klippen;

die Welt tut Erinnerung ab, um sich wiederzufinden.

Über den Booten der Morgenstunde

breitet das Licht seine weiten Segel,

und Herberge findet im Herzen die Hoffnung.

Aber vergangen ist nun die Frühe,

die Helle verzieht und wird eins

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auf Höhen und über Laubwerk,

alles ist näher und enger gefügt,

als ginge der Blick durch ein Nadelöhr;

nun ist das Ende gewiß,

und ob auch der Wind schweigt,

hörst du die Feile, wie emsig sie frißt

an der Kette, die uns verbindet.

Der Ton geht zu Tal

wie klingender Steinschlag, verhallt.

Mit ihm verliert sich der Stimmen-

schwall in dem kalten

Gewinde der Felsspalten,

weicht auch das Seufzen der Hänge

dort in den Reben, die

Wurzelschlingen festhalten.

Keine Steige mehr hat der Steilhang,

Kiefernäste umklammern die Hände;

dann zittert und schwindet

der Lichtschein des Tages;

Weisung ergeht und befreit

aus ihrer Begrenzung die Dinge,

die nur zu dauern begehren,

einzig noch dazusein, froh

der unendlichen Mühsal;

ein Steingeriesel, das sich vom Himmel

zum Strande ergießt ...

Im kaum entfalteten Abend ist

Hörnerschall zu vernehmen, zerfließt.“

Der italienische Schriftsteller Eugenio Montale
Foto: Wikimedia Commons/Kaj Hagman
Der italienische Schriftsteller Eugenio Montale (1896-1981)

Eugenio Montale

Eugenio Montale wurde 1896 in Genua in Ligurien geboren. Der italienische Schriftsteller sollte erst nach seinem Militärdienst in den Jahren 1917-18 seine Leidenschaft für die Literatur entdecken. Sein Werk ist geprägt vom französischen Symbolismus und Impressionismus, seine Gedichte widmen sich großteils der Landschaftsbeschreibung seiner Heimat Ligurien.

Ende der 1920er-Jahre ließ sich Montale in Florenz nieder, wo er die namhafte Bibliothek Gabinetto Vieusseux leitete, ehe er ab 1948 in Mailand für die Tageszeitung Corriere della Sera tätig werden sollte. 1975 erhielt Montale den Nobelpreis für Literatur. Er verstarb 1981 in Mailand.

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