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David Lama: Über Gipfelgefühle

• 3. Mai 2019
2 Min. Lesezeit
von David Lama

Nach der Erstbesteigung des Lunag Ri: Der Gipfel ist nicht der Höhepunkt der Gefühle. Viel wichtiger ist David Lama, dass sich ganz oben die Perspektive ändert (erschienen im Bergwelten Magazin Februar/März 2019).

David Lama auf dem Gipfel des Lunag Ri 2018
Foto: David Lama / Red Bull Content Pool
David Lama auf dem Gipfel des Lunag Ri 2018
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Die richtige Freude über eine gelungene Tour kommt beim alpinen Klettern fast immer erst im Nachhinein auf. Mit etwas Abstand, wenn „nichts mehr passieren kann“. Dann macht die mentale Anspannung einem gelösten Zustand Platz, und ich empfinde eine intensive Freude über das Geleistete, über die Verwirklichung dessen, was ich mir vorgenommen habe. Der Gipfel ist sicher nicht der Höhepunkt der Gefühle.

Als ich selbst im Herbst am Gipfel des 6.905 Meter hohen Lunag Ri in Nepal stand, wurde mir erstmals so richtig bewusst, dass diese kurze Zeitspanne dort oben einen absoluten Perspektivenwechsel bedeutet: Ab dem vorgeschobenen Basislager war ich drei Tage lang mit totalem Fokus geklettert. Ich hatte die Besteigung als Solo-Expedition geplant, und die Tatsache, dass ich allein war, führte wohl auch dazu, dass ich mich mit besonders geschärften Sinnen bewegte.

Ununterbrochen analysierte ich alle Faktoren um mich herum – das Gelände, die Schneeverhältnisse, die Felsstruktur, die nächste Sicherungsmöglichkeit –, um den nächsten Schritt sicher setzen zu können. Und plötzlich, am Ende des Gipfelgrates, war das nicht mehr nötig.

David Lama erreicht den Gipfel des Lunag Ri
Foto: Sean Haverstock / Red Bull Content Pool
David Lama erreicht den Gipfel des Lunag Ri

Es war, als befände ich mich gerade im Totpunkt, einem kurzen Augenblick, in dem sich Fliehkraft und Schwerkraft gegenseitig aufheben und keine Energie mehr da ist, gegen die man ankämpft. Ich hatte Zeit, die Eindrücke um mich herum aufzusaugen, und war nicht gezwungen, sie sofort zu verwerten. Ich ließ den Blick über das Panorama der Himalaya-Riesen schweifen, die sich rund um mich aufbauten.

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Ich dachte an Conrad Anker, meinen Partner bei den ersten beiden Versuchen, den Lunag Ri zu besteigen. Es wäre schön gewesen, mit ihm gemeinsam hier oben zu stehen. Aber es war auch gut, dass ich die Erstbesteigung nicht mit jemand anderem realisiert, sondern allein zu Ende gebracht hatte. Und natürlich war da auch ein Moment der Freude. Ich hatte mein lang geplantes Vorhaben, das mich mehr als vier Jahre beschäftigt hatte, endlich in die Tat umsetzen können.

Doch dann war der Augenblick der Schwerelosigkeit, in dem ich nicht vorausschauen, nicht schon wieder den nächsten Schritt planen musste, auch bereits wieder vorbei. Ich hatte mich neu zu orientieren: Mein Ziel war erreicht, aber die Tour noch nicht überlebt.

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Dass der Wind gegen Mittag wieder stärker werden sollte, wusste ich. Es war etwa zehn Uhr vormittags, und den Abstieg musste ich zeitlich genauso präzise steuern wie den Aufstieg. Mir war klar, dass ich den letzten Teil der Wand in der Nacht abseilen würde.

Also machte ich mich sofort daran und richtete den ersten Stand ein. Es gab nichts mehr, was mich hier oben am Lunag Ri festhielt, aber vieles, was mich nach unten zog.

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