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Reise

Ankunft in der Einsamkeit: im wilden Westen Norwegens

• 10. August 2023
5 Min. Lesezeit

Im norwegischen Vestland trifft man unterwegs oft lange keine Menschenseele. Zwischen Fjorden, Seen und Bergen entdecken wir den Westen Norwegens zu Fuß, mit dem Rad und im Kajak.

Text: Valentina Dirmaier

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Infos und Adressen

Anreise: Von Oslo und Bergen fahren die Bergensbahnen zum Zielbahnhof Myrdal. Danach geht es mit der Flåmsbana bis zum Reinunga-See oder weiter bis nach Flåm.

Beste Reisezeit: Die Zwischensaison von Mai bis Mitte Juni und Mitte August bis September ist zu empfehlen. Es herrscht mildes, oft klares Wetter und man trifft weniger Touristen an, wodurch die Übernachtungspreise moderater ausfallen.

Unterkunft: Ein Aufenthalt in der gemütlichen, liebevoll eingerichteten Eco-Hytta ist ein Erlebnis, allein schon wegen der Lage am Reinunga-See. Hier gibt es keine Straßen, die Anreise erfolgt mit der Bahn. Alternativ gibt es in Flåm mehrere Unterkünfte, zum Beispiel das Fretheim Hotel. Das Hotel versprüht einen Hauch Mondänität, gepaart mit nordischer Schlichtheit.

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Essen: Ein Muss ist ein Kneipenbesuch in der 2007 gegründeten und bereits vielfach ausgezeichneten Brauerei Ægir in Flåm. Vielfach national preisgekrönt sind die Ziegenkäsespezialitäten der Genossenschaftskäserei Undredal Stølsysteri aus dem Nachbarort Undredal (per Fähre, Bus oder Auto erreichbar), die in lokalen Supermärkten erhältlich sind. Empfehlenswert für Mittag- und Abendessen: Restaurant & Hotel Flåmsbrygga (A-Feltvegen 25, 5743 Flåm).

Gut zu wissen: In Norwegen kann man sich wie kaum in einem anderen Land mit Elektroautos fortbewegen (über die Hälfte aller Mietautos fährt elektrisch) oder mit zu 100 % elektrisch betriebenen Schiffen in See stechen (Future of the Fjords, Legacy of the Fjords).

Erster Eindruck

Der erste Eindruck ist gewöhnungsbedürftig, aber da müssen wir jetzt durch. Auf dem Teller vor uns liegt schließlich ein Stück norwegisches Kulturgut. Gamalost ist ein ockerfarbener Käse, den schon die Wikinger schätzten. Ob trotz oder wegen seines strengen Aromas, das ist nicht überliefert. „Es hat etwas von nassen Wandersocken, die länger nicht gewaschen wurden“, sagt Paul, der uns mit seiner Partnerin Lucy den Käse als Entreé aufgetischt hat. Und da ist etwas dran.

Vor uns breitet sich der Reinunga-See aus. Wir sitzen auf der Terrasse einer Hütte im norwegischen Vestland, etwas mehr als 100 Kilometer nordwestlich von Oslo, und genießen den Ausblick, der wiederum keine Geschmacksache ist, sondern einfach nur schön. Die Lodge, die Paul und Lucy vermieten, steht abgelegen auf einem Plateau zwischen der Bahnstation Myrdal und dem Örtchen Flåm. In den nächsten vier Tagen wollen wir von hier aus die neue Heimat der französischen Auswanderer Lucy Barrau und Paul Andrews erkunden: in Wanderschuhen, im Kajak und auf dem Mountainbike.

Der Weg durch das Sauafjellet-Hochland führt immer wieder an malerischen Seen vorbei
Foto: Philipp Horak
Der Weg durch das Sauafjellet-Hochland führt immer wieder an malerischen Seen vorbei

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Wandern zum Kaldavatni-See

Wo die Zivilisation endet, beginnt Norwegen, wie man es sich vorstellt – ein Land, das 15 Einwohner pro Quadratkilometer hat. Wir sind auf dem Weg zur Kaldavasshytta, eine kleine Selbstversorgerhütte am Kaldavatni-See, südwestlich unserer Basis. Zunächst geht es über den Rallarvegen, einen Pfad, auf dem Mountainbiker ihre Waden und Fahrradketten heiß treten. Dann verlassen wir Myrdal, wo wir die Gleise der höchstgelegenen Bahnstrecke Europas – die Bergensbanen zwischen der Hauptstadt Oslo und Bergen – unterqueren und nach einer halben Stunde an der ersten Destination unserer Wanderung ankommen: in der Einsamkeit.

Auf den fußbreiten Pfaden gibt es kaum zweibeinigen Gegenverkehr, dafür unendlich viel Weite, Wildnis und Wasser. Mit zunehmender Höhe lösen Schneeflecken die spärlichen Grasflächen ab. Zwischen Geröllfeldern liegen Bergseen, deren Farbenspektrum sämtliche Nuancen zwischen Grün und Blau abdeckt. Ein türkisfarbener namenloser See verführt uns schließlich zum Innehalten und zu einer Mutprobe. Dem Köpfler mit Anlauf ins eiskalte Wasser folgen hastige Atemzüge, Armzüge und am Anfang auch ein paar Kraftausdrücke.

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Dann kommen wir an, Endstation Einöde. Unser Halbtagesfußmarsch mündet in eine Halbinsel, an deren Spitze zwischen kugelrunden Felsen und Wollgräsern die Kaldavasshytta liegt. Das Häuschen am See hat das Format einer Gartenhütte und ist mit zwei Holzhochbetten, einer Eckbank, Kochutensilien, Brettspielen, Büchern, Brennholz und einer Axt bestückt. Bevor wir unser Tagwerk am Gasherd beschließen, wärmen wir uns in den letzten Sonnenstrahlen und hechten von einem Felssockel in den kristallklaren Kaldavatni.

Am Rückweg wartet noch ein Kick der anderen Art: an einer neu errichteten Zipline bei Myrdal kann man mit 100 Stundenkilometern ganze 1,4 Kilometer und 300 Höhenmeter talwärts zur malerischen Rallarosafarm düsen. Und dort auch den norwegischen „Nationalkäse" Kremost – gehobelter brauner Ziegenkäse mit karamellartigem Geschmack – verkosten.

Infos zur Route: Ausgangspunkt ist die Eco-Hytta im Örtchen Reinunga, in der Nähe des Verkehrsknotenpunkts Myrdal. Von hier aus wandert man zur Kaldavasshytta, die Buchung der kleinen Hütte am Kaldavatni-See erfolgt über den norwegischen Bergsteigerverein DNT (voss.utferdslag@dnt.no). Nach der Rückkehr schwebt man mit der längsten Zipline Skandinaviens über 1.381 Meter von Vatnahalsen zum Ziegenhof Rallarrosa und kehrt zu Fuß über die steilen Serpentinen zum Ausgangspunkt zurück.

Zwischen Wasserfällen und Seen

Kajaken im Nærøyfjord

Der 17 Kilometer lange Nærøyfjord ist einer der schönsten Fjorde Norwegens. Eingebettet im Kerbtal zwischen steil abfallenden, bis zu 1.700 Meter hohen Felswänden, von denen mal mehr mal weniger Wasser senkrecht ins Tal donnert. Der Kjelfossen-Wasserfall zählt zu den größten überhaupt, ist seit 2005 auf der Liste der Weltnaturerbe. Der Fjord ist ein Rohdiamant, der die Massen anzieht und gleichzeitig von ihnen geschützt werden muss. Er ist zu schmal und seicht für Kreuzfahrtschiffe, ideal für Genusssportler. In vier Einsitzern paddeln wir auf dem Seitenarm des bekannten Sognefjords ­­– der längste und tiefste seiner Art in Europa. Ziel der Kajaktour ist das Dörfchen Bakka. Hier kann man bei Kaffee und Waffeln Kraft für die Heimreise tanken.

Infos zur Tour: Die Kajaktour durch das UNESCO-Welterbe Nærøyfjord startet in Gudvangen. Die Outdoor-Firma Nordic Ventures bietet hier verschiedene Optionen für Kajaktouren an – von der Halbtagestour bis zur 10-tägigen Kombination aus Paddeln und Wandern. Wir sind mit dem Kajak von Gudvangen nach Bakka gefahren.

Kajaken im Naeroyfjord
Foto: Philipp Horak
Eine Kajaktour am Nærøyfjord

Mountainbiken in Flåm

Zwischen Myrdal und Flåm verläuft eine der berühmtesten Bahnstrecken der Welt: Auf 20 Kilometern fährt man mit der Flåmsbana durch 20 Tunnels und die norwegische Idylle. Man kann die Strecke aber auch abenteuerlicher bewältigen, nämlich mit dem Mountainbike. Eine 17 Kilometer lange Mountainbiketour führt vom Reinunga-See nach Flåm. Dabei brettert man am Rallarvegen über 21 Haarnadelkurven, Schotter und Asphalt 800 Höhenmeter Richtung Meer. Langsam fahren sollte man nicht nur wegen der rasanten Strecke, sondern auch, weil man sonst die rauschenden Flüsse und Wasserfälle und die steilen Berge links und rechts verpasst. In Flåm selbst sollte man sich auf einen Kulturschock vorbereiten: Hier ist es vorbei mit der Einsamkeit, denn der idyllische Ort am Ende des Aurlandsfjords ist ein beliebtes Ziel von Kreuzfahrtschiffen.

Infos zur Tour: Der Rallarvegen, übersetzt „Bahnarbeiterweg“, ist eine insgesamt 82 Kilometer lange Fahrradroute durch Westnorwegen. Der Abschnitt vom Reinunga-See nach Flåm ist steil und steinig. Für den Rückweg bergauf bietet sich eine Fahrt mit der Flåmsbana an. Achtung: rechtzeitig buchen.

Flamsbana
Foto: Philipp Horak
Die Flåmsbana wirkt wie aus einer anderen Zeit

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