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Reise

Helgeland: Outdoor-Abenteuer in Norwegens hohem Norden

• 6. Juli 2020
6 Min. Lesezeit
von Simon Schöpf

Der nördlichste Klettersteig der Welt, der perfekte Raftingfluss, Kajaken im Fjord: Simon Schöpf berichtet über kleine Abenteuer im nordnorwegischen Helgeland, das nur einen Katzensprung unterhalb des Polarkreises liegt.

Diese Reportage muss mit zwei Geständnissen beginnen: Erstens, der Autor leidet unter einer latent ausgelebten Norwegensucht und zweitens: er hatte vorher auch keine Ahnung, wo dieses Helgeland liegt.

Einfacher zu erklären ist das Geständnis Nummer zwei. Helgeland ist eine Region im Süden von Nordnorwegen, und falls das seltsam klingt, könnte man auch sagen: Zwischen Trondheim und Bodø, die Region unterhalb der Lofoten, genau da, wo Norwegen auf der Landkarte am schmalsten aussieht, also ein paar Millimeter unterhalb des Polarkreises, das ist das Helgeland. Und wenn der Leser oder die Leserin dieser Reportage auch noch nie etwas davon gehört hat, dann ist das nur gut so. Weil somit die Chancen intakt sind, dass man es noch länger sehr ursprünglich, also abseits jeglicher Touristenströme, erleben wird. Helgeland ist flächenmäßig so groß wie Sachsen, zwar mit weniger Einwohnern (weniger als 80.000), dafür mit definitiv mehr Inseln (gut 15.000).

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Norwegen, dem Sport wegen

Zurück zum ersten Geständnis, dieses ist ein wenig schwieriger zu ergründen: Die Norwegen-Sucht, auch unter dem Fachbegriff cupiditas norge bekannt, ist eine Unterart der Skandinavien-Sucht und diese bei den Abenteuerreisenden Mitteleuropas seit mehreren Jahrzehnten zunehmend zu beobachten. Als auffälligstes Symptom wird der oder die Infizierte immer wieder dabei beobachtet, voller Aufregung nach Norwegen zu reisen und sich dort oben so richtig wohl zu fühlen. Von Seiten des Autors gab es dafür bisher einige Erklärungsversuche, vorwiegend über die Kombination aus grandioser Landschaft, wohltuender Menschenleere und märchenhafter Vegetation (hier sei mit besonderer Zuneigung die norwegische Zwergbirke erwähnt, fjellbjørk). Allerdings waren diese Versuche bisher nicht ausreichend, weshalb hier ein neues Suchtelement ins Spiel gebracht wird: Das klare, nordische Wasser.

Helgeland in Nord-Norwegen

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1. Wildwasser-Rafting bei Trofors

Es gibt im Extremsport eine alte Regel, die besagt: Weltmeister wissen für gewöhnlich, was sie tun. Wenn also Kajak-Champion Mariann Sæther zusammen mit ihrem Mann Ron Fischer – seines Zeichens ebenfalls einer der besten Wildwasserpaddler weltweit – in das kleine Nestchen Trofors im Helgeland zieht, ausschließlich des Wildwassers wegen, dann muss es wohl gut fließen da oben. „Seit 20 Jahren komme ich jeden Sommer zum Kajaken hierher, und irgendwann wurde mir bewusst: Der Fluss hier, Austervefsna, ist ganz einfach der perfekte Raftingfluss“, sagt Mariann mit ihrem charmanten Grinsen über beide Ohren. Seit letztem Jahr bietet sie mit Ron und ihrer neu gegründeten Firma RiverNorth hier Raftingtouren an, die einzigen kommerziellen Anbieter, die sich in solch nördliche Breitengrade trauen. Ihren dreijähren Sohn haben die beiden natürlich auch eingepackt, „die Gegend hier ist einfach ein einziger großer Abenteuerspielplatz, was Schöneres gibt es doch nicht, um ein Kind großzuziehen“, findet Ron.

Rafting am Austervefsna, Helgeland

Unterwegs im großen gelben Gummiboot am Fluss merken wir auch gleich, warum: Unberührte Natur soweit das Auge reicht, das einzige Zeichen von Zivilisation während der zwei Stunden auf dem Wasser ist ein kleines Fischerboot am Ufer. Ansonsten glasklare Flüsse, tiefgrüne Moose, und Stromschnellen der Kategorie 3+. Gekonnt guidet uns Ron durch das Wildwasser, nach jedem rapid kommt ein großer Pool, „wie versprochen, der perfekte Raftingfluss“, grinst er, wir nicken ab.

2. Raus auf’s offene Meer

Aber natürlich präsentiert sich in Norwegen keine Landschaftsform verschwenderischer als die Küste. Und vor der Küste, da ist das Meer, dazwischen drin auch unzählige Inselchen, große und kleine. Eine Karte von Helgeland schaut aus, als ob jemand ein halbes Tintenfass auf das Papier gekleckst hätte, jeder Fleck wird zu einer Insel. Und wer nicht in der Tinte ertrinken will, der fragt am besten einen erfahrenen Navigator nach dem besten Weg durch diese Klekse. Dass man dem Magne Johan Steiro seine 60 Jahre nicht im Geringsten ansieht, muss wohl an den vielen Paddelschlägen und der erfrischenden Meeresgischt liegen, die dem Norweger täglich die Falten aus dem Gesicht wäscht.

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Raus auf's offene Meer: Helgeland als einsames Paddler-Paradies

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„Ich war der erste, der hier mit dem Kajak seine Runden gedreht hat. Das Archipelago vor Tomma ist einfach perfekt zum Paddeln, da musst du hin“, schwärmt Johan. Tomma ist einer der größeren Tintenflecke auf der Helgeland-Küstenkarte, unweit dem kleinen Städtchen Nesna, wo Johann seinen Paddelverleih Hav & Fritid so nebenbei aufgebaut hat. „Sonst unterrichte ich Geschichte an der Uni.“

Und dann gleiten wir in unseren bunten Epsilon-Kajaks auch schon raus in den Fjord, direkt auf Tomma zu. „Die besten Tage findest du natürlich im Sommer, da kannst du gemütlich am Abend paddeln, wenn das Meer am ruhigsten ist. Die Sonne geht zu dieser Jahreszeit eh nicht unter.“ Ein Seeadlerpaar kreist weit über uns, unter uns nur das tiefblaue, arktische Meer, das mit seinen 12°C hier so klar ist, dass wir die Fische in ihrem Wohnzimmer beobachten können. Nach einer guten Stunde Paddeln finden wir dann auf der Insel etwas, das man sonst wohl nicht mit dem kalten Norwegen verbindet: Verlassene Sandstrände, wie gemacht für eine Biwaknacht draußen. „Bei uns gilt das Allemannsrätt, zwei Tage darfst du am gleichen Ort bleiben. Bei schönem Wetter sind Mehrtagesausflüge mit dem Kajak (kajakktur) hier oben ein nie dunkelwerdender Traum.“

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3. Hoch über dem Wasser: Klettersteig mit Fjord-Blick

Um einen Klettersteig mit dem Element Wasser zu verbinden, muss man nicht zwangsläufig im Stahlseil hängend in einen Regenguss geraten. Nein, das geht auch angenehmer: Ein Klettersteig mit Fjordblick nämlich, bei dem sich das arktische Wasser so nah anfühlt, als würde man direkt darüber schweben. Wobei mit Schweben natürlich harte Oberarm-Arbeit gemeint ist, denn der Klettersteig über dem helgeländischen Städtchen Mosjøen mit seinem Vefsnfjord ist zwar nagelneu, aber nicht geschenkt. „Wir haben hier den nördlichsten Klettersteig der Welt errichtet“, sagt uns Merethe Kvandal, unser Guide und Gründerin von Naturlige Helgeland, dem Erbauer der Via Ferrata. Der erste Teil über die Granitplatten eignet sich noch gut zum Aufwärmen (und zum Blåbær pflücken, die Blaubeeren wachsen hier im Sommer wirklich überall), bis der Klettersteig dann ab dem gemütlichen Jausenplatzerl in der Mitte merklich aufsteilt. Pilze, Zwergbirken, Fjordblick: Auch wenn die Hände am Stahlseil schon mal kalt werden, einen Klettersteig unweit des Polarkreises zu gehen ist eine ganz eigene Faszination.

Der nördlichste Klettersteig der Welt, hoch über Mosjøen

Vom Ausstieg der Via Ferrata erreicht man in einer guten halben Stunde den Gipfel des Øyfjellet (818 m) mit einem Riesen-Steinmännchen anstatt des Gipfelkreuzes und blickt auf eine verlassene Granitlandschaft, glattgeschliffen von den riesigen Gletschern der letzten Eiszeit. Tausende kleiner Seen glitzern in der Sonne, und am Horizont grüßen die Syv Søstre, die Sieben Schwestern. Die kleine Bergkette ist eines der schönsten Wahrzeichen im Helgeland. Und weil 818 Meter im Abstieg dann doch viel sind, hat sich Guide Merethe etwas viel spannenderes als Treppensteigen einfallen lassen: Eine 700 Meter lange Zipline, die einen mit gut 80 km/h über das Vefsnfjord und direkt in den Vorgarten des altehrwürdigen Frau Haugens Hotels bringt.

Und dort endet der nächste Erklärungsversuch der Norwegen-Sucht: Mit einem köstlichen Lachsfilet auf dem Teller und Fjordblick im Auge. Es hilft einfach nichts: Schon beim letzten Bissen beschließt der Autor, wieder nach Norwegen zu kommen. Die Sucht zu stark, der Geist zu schwach. Der Lachs zergeht auf der Zunge.

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Foto: Simon Schöpf
Vergnüglicher Abstieg: Die 700m lange Zipline zurück nach Mosjøen

Infos und Adressen: Helgeland, Norwegen

Ankommen: Helgeland hat viel Fläche und wenig Einwohner, und diese konzentrieren sich auf vier Städtchen: Mosjøen, Mo i Rana, Brønnøysund & Sandnessjøen. Alle vier verfügen über einen kleinen Flughafen, Anflug über Oslo/Trondheim mit der Fluglinie Widerøes, meistens eine Verbindung täglich.

Mit dem Auto: Wer Norwegen mit dem Auto durchquert, erreicht das Helgeland über die E6, die „Autobahn Norwegens“. Circa 300 km nördlich von Trondheim. Von Oslo sind das knapp 900 km. Die Boote der Hurtigruten fahren Brønnøysund, Sandnessjøen und Nesna 2x täglich an.

Beste Reisezeit: Juni und Juli sind magische Monate in Norwegen, die Tage sind endlos und die Temperaturen schon warm (also warm im Sinne des Polarkreises heißt so 15°C). August und September sind natürlich auch noch perfekt, generell sollte man für Norwegen ein paar Tage länger einplanen, falls es doch mal regnet, und das soll ja gern mal vorkommen.

Rafting in Trofors: Das 2017 gegründete RiverNorth von Kajak-Weltmeisterin Marianne Sæther & dem Schweizer Wildwasser-Veteran Ron Fischer liegt idyllisch unweit der E6-Straße in der Nähe des Dörfchens Trofors. Angeboten werden Kajak- und Raftingtouren für Familien, Gruppen und Einzelpersonen am wunderschönen Fluss Austervefsna. Große Empfehlung! rivernorth.no , +47 45 77 84 19.

Sea-Kajak in Nesna: Johann Steiros „Halv & Fritid“ bietet Grundkurse im Meerespaddeln sowie geführte Mehrtagestouren am. Der Kajakverlei findet sich im wunderbar netten Campground Havvblikk Camping, die auch preiswerte kleine Hütten vermieten. Johann gibt für längere Touren auch gern Auskunft über Routen, Übernachtungsplätze und Strömungen. post@havogfritid.no, Tel. (+47) 915 94 340.

Unterkommen im Mosjøen: Das Städchen Mosjøen empfiehlt sich als zentrale Basis, das Helgeland zu erkunden. Im Fru Haugens Hotel residiert man im ersten Hotel der Gegend (seit 1794) und speist vorzüglich. Ein kulinarischer Geheimtipp: Das Matkollektivet Vikgården schaut aus wie ein Tante-Emma-Ramschladen, bietet aber kuschelige Atmosphäre und besseres Essen, als es Emma je hinbekommen würde. Viele Produkte sind aus dem eigenen Garten, der Rest von nahen Farmen. Sogar ein eigenes IPA wird gebraut! 

Klettersteig & Zipline: Der nördlichste Klettersteig der Welt (Via Ferrata Mosjøen) hat die Schwierigkeitsbewertung B/C, die Zipline ist mit 700 Metern Länge ein ganz besonderes Erlebnis. Auchtung: Der Klettersteig und die Zipline wurden privat errichtet, für Buchungen & Details: visithelgeland.com/Climbing-and-Zipline.

Die Reise erfolgte auf Einladung von Visit Helgeland und VisitNorway.

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