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Foto: Françoise Hauser
Reise

Die Wildnis vor der Haustüre: Hongkong für Wanderer

• 27. April 2020
6 Min. Lesezeit

Hongkong bedeutet Wolkenkratzer und enge Häuserschluchten, dicht gepackte Besiedlung und stehender Verkehr. Doch die Stadt kann auch anders. Reise-Autorin Françoise Hauser nimmt uns mit auf eine Exkursion in die unberührte Wildnis rund um die südchinesische Metropole, die sogar eine eigene Bergrettung hat!

Reportage: Françoise Hauser

Mehr als 66 Prozent Wildnis, 24 Naturschutzgebiete und mehr Pflanzen- und Tierartenarten als in ganz Großbritannien: Kein Mensch käme bei dieser Beschreibung darauf, dass es sich um Hongkong handelt. Und es wird noch besser: So einsam sind viele Ecken Hongkongs, dass man mühelos einen Robinson-Film drehen könnte.

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Kein Wunder, dass erstaunlich viele Hongkonger mit Begeisterung wandern gehen. Dass sie diesem Hobby so intensiv nachgehen können, verdanken sie der Tektonik – und den Briten. Die rauen Felslandschaften, steilen Berge und einsamen Buchten sind Relikte längst vergangener vulkanischer Eruptionen vor rund 150 Millionen Jahren. Alles, was über die geologische Ausstattung hinausgeht, geht auf das Konto der Briten, die hier ein Paradebeispiel von Wiederbewaldung exerziert haben.

Als Admiral Charles Elliot 1841 zum Ende des Opiumkrieges mitteilen ließ, er habe China unter anderem die Felseninsel Hong Kong Island als Reparaturzahlung abgerungen, soll der britische Premier Palmerston die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben: Wozu brauchte Großbritannien bitte eine nackte Felseninsel an der Piraten-verseuchten Südküste Chinas? Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die Briten in großem Umfang Hongkongs Berge zu bepflanzen, denn es stand schlecht um die Wasserversorgung. Und sie waren erfolgreich: Rund ein Drittel der Fläche ist mittlerweile wieder bewaldet. Vor allem aber stellten die Briten in den 1970ern mehr als 40 Prozent der Fläche unter Naturschutz.

Hongkong Wandern
Foto: Françoise Hauser
Startpunkt am High Island Reservoir: Kaum zu glauben, dass die Hügel einst nahezu kahl waren

Beliebt auf Bergwelten

Zwischen Kobras und Affen

Sogar die Einheimischen unterschätzen hin und wieder die Wildnis vor der Haustür. Egal, wie nah die Großstadt ist, das schroffe Terrain hat seine Herausforderungen und die Stadt sogar eine eigene Bergrettung, die immer wieder schlecht vorbereitete Wanderer aus dem Gelände holen muss.

„Solide Schuhe, viel Wasser und eine Kopfbedeckung mitbringen“, rät Gabi Baumgartner von „Walk Hong Kong“ den Hobby-Hikern. Die Schweizerin lebt seit drei Jahrzehnten in Hongkong und bietet seit gut 15 Jahren Wandertouren an. Zum Beispiel zu den „Deserted Beaches“ im Osten der Sai Kung Halbinsel. Was nach Strand, Wellen und Erholung klingt, erweist sich schnell als harte Tour: Ach Stunden dauert der Weg vom Damm des High Island Reservoirs in die Berge, entlang einsamer Strände und wilder Buchten.

„Das wird heiß und anstrengend“, warnt sie. Zu Recht, wie sich später herausstellt. Ein Spaziergang ist das im Hongkonger Sommer nicht: Gleich nach wenigen Minuten steht der erste steile Anstieg an. Auch wenn die Wege gut ausgebaut sind: Bei fast 40°C im Schatten gleichen die Treppen bergauf, bergab, bergauf einer Wanderung im Sisyphos-Stil. Gut, dass der Pfad über den 314 Meter hohen Sai Wan Shan immer wieder den Blick auf spektakuläre Landschaften, steile Abhänge und kristallklare Fluten freigibt. Das motiviert. In der Sai Wan Bucht steht die erste Pause an. Natürlich mit einem kurzen Bad in den glitzernden Wellen, völlig allein, nur ein paar Möwen kreisen kreischend über dem Wasser.

Hongkong Wandern
Foto: Françoise Hauser
Bei fast 40°C im Schatten scheint die einsame Sai Wan Bucht umso verlockender

Doch die Abkühlung hält nicht lange an und auch der Sand, der sich nun in die Ritzen der Wanderschuhe frisst, ist nicht wirklich hilfreich. Mittlerweile knurrt auch der Magen gehörig. Noch eine Stunde, vertröstet Gabi, denn das Mittagessen wartet wenige Kilometer weiter in der Ham Tin Bucht, in einem kleinen Restaurant: Der Strom kommt aus dem Generator, sämtliche Zutaten bringt der Besitzer mit Boot, logisch, denn auch in diese Bucht führt kein befahrbarer Weg.

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Erstaunlich ist: Alle Tische sind belegt, mindestens 20 erschöpfte Wanderer sitzen unter der Sonnenplane. Später zeigt sich: Man kann auch schummeln und mit dem Wassertaxi aus dem nächstgelegenen Sai Kung kommen. Was sich am Ende des Tages aber garantiert nicht so gut anfühlt.

Wer ein bisschen schummeln will, erreicht den Ham Tin Beach auch per Wassertaxi

Der Letzte macht das Licht aus

Später, mit vollem Magen, geht es noch einmal schweißtreibend gut 200 Meter bergauf. Rechts ragt der Sharp Peak auf, linkerhand der Berg Tai Mun Shan. Unterwegs säumen verlassene Häuser, Grabstätten, verfallene Ställe, überwucherte Mauern den Weg. Immer wieder raschelt es im Gebüsch – ziemlich laut sogar. Mal jagen Makaken durch das Geäst und beäugen die verschwitzten Wanderer, mal sind es wilde Kühe. Mit ein wenig Glück trifft man auf Stachelschweine, Pangoline oder Muntjaks, einer Hirsch-Art, erzählt Gabriele Baumgartner. Mit weniger Glück könnte es auch eine Python, Kobra oder eine hochgiftige Krait-Schlange sein. Gut, dass die meisten von ihnen genauso wenig Lust auf eine Begegnung haben wie die Wanderer.

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Dass Sai Kung so herrlich einsam ist, hat nicht nur mit Naturschutz und dem Mangel an Straßen zu tun. Ein mindestens genauso wichtiger Grund ist die Abwanderung. Chek Keng ist ein Parade-Beispiel. Die Versuchung der nahegelegenen Metropole war zu groß, das Auskommen am mageren Boden zu gering, als dass die abgelegene Gegend mit der Stadt hätte konkurrieren können. Nachdem der letzte Bauer die Hacke aus der Hand gelegt und die Kühe freigelassen hatte, fielen die steinernen Häuschen dem Verfall anheim. Seither herrscht Totenstille im Weiler. Unter den Schlingpflanzen und Sträuchern lässt sich die Herdstelle ausmachen, auf dem verrotteten Tisch steht noch eine Teetasse, an der Wand eine alte Kalligraphie und verblichene Portraits von Verwandten, als wäre der letzte Bewohner einfach aufgestanden und gegangen.

Hongkong Wandern
Foto: Françoise Hauser
Überall auf der Sai Kung Halbinsel trifft der Wanderer auf verlassene Dörfer

Ein letzter Berg, dann ist Pak Tam Au erreicht, am Rande des Country Parks. Ab hier geht es per Minibus zurück in die Innenstadt von Kowloon. Über elf Kilometer reine Wegestrecke führte die Tour, gefühlte tausend Kilometer bis in die Hochhausschluchten.

Immer weiter bis zum Horizont

Einmal auf den Geschmack gekommen, möchte man eigentlich nicht mehr aufhören. Möglichkeiten gibt es genug: Rund 500 Kilometer Trekking-Pfade zählt Hongkong, darunter auch der McLehose Trail, quasi die Königsdisziplin. Er zieht sich über 100 Kilometer Länge durch die New Territories und führt dabei durch acht Country Parks. Benannt wurde er nach dem Gouverneur Murray MacLehose, einem passionierten Trekking-Fan, auf dessen Kappe übrigens nicht nur die Trekkingpfade Hongkongs gehen, sondern auch die meisten Naturschutzgebiete der Stadt, die in seiner Regierungszeit von 1971 – 1982 geschaffen wurden.

Hongkong Wandern
Foto: Françoise Hauser
Der McLehose Trail führt hundert Kilometer durch die einsamen Ecken der Stadt

Unterschätzen sollte man den McLehose nicht, selbst erfahrene Wanderer brauchen für den kompletten Trail fünf bis sechs Tage. Viele nehmen ihn sich etappenweise vor, unterwegs warten allerhand Ablenkungen. Zum Beispiel die Bucht Tai Long Wan, deren kantonesischer Name sich nicht ohne Grund mit „Big Wave Bay“ übersetzt, und die unter Surfern extrem beliebt ist.

Man könnte auch in die Fußstapfen der Hongkonger Windsurferin und Goldmedaillengewinnerin von 1996 Lee Lai Shan treten. Sie lernte am Kwun Yam Beach der Insel Cheung Chau – und natürlich kann man sich dort auch heute noch ein Brett ausleihen und über die Wellen gleiten. Mountainbiker rasen derweil entweder den Tai Mo Shan Downhill Trail herunter oder verausgaben sich auf der Dragon's Back Route einmal längs durch Hong Kong Island. Oder wie wär’s mit Kayaking in Hoi Ha?

Auf Cheung Chau liegt Hongkongs bekanntester Windsurf-Strand – wenn der Wind weht...

Egal für welche Aktivität man sich entscheidet, mit einem Makel muss man immer leben: Auch mit hunderten von Beweisbildern auf dem Handy, das kauft einem zuhause niemand ab – das ist doch nicht Hongkong!

Infos und Adressen: Wandern rund um Hongkong, Volksrepublik China

Hinkommen: Nonstop-Flüge boten vor der Corona-Krise Cathay Pacific und Lufthansa. Ab Wien ist Hongkong nur per Zwischenstopp erreichbar, dafür aber mit einer großen Auswahl an Fluggesellschaften.

Unterkommen: Das 4-Sterne-Appartment-Hotel Harbourfront Kowloon in Hung Hom liegt günstig für Ausflüge nach Sai Kung und kostet ab 145 Euro/Nacht pro Apartment für 3-4 Personen.

Wer lieber gleich vor Ort auf der Sai Kung Halbinsel bleiben will und eine günstige Alternative sucht, entscheidet sich für die Jugendherberge „Bradbury Hall“ an der Anlegestelle Chek Keng nahe dem gleichnamigen verlassenen Dorf (Bett im Schlafsaal und Camping-Platz), die Mitgliedschaft im Jugendherbergsverband wird vorausgesetzt. Weitere Infos im Web unter www.yha.org.hk.

Beste Reisezeit: Von Oktober bis Mai herrscht angenehmes Klima zwischen 20° und 30°C. In den schwülen Sommermonaten Juni, Juli und August liegen die Temperaturen oft auch mal über 30 Grad, zudem bringt der Monsun ergiebigen Regen. Im September fegen immer wieder Taifune durch die Stadt.

Touren und Surfen: Geführte Touren auf Deutsch bietet Walk Hong Kong an. Mit ein wenig Vorbereitung lassen sich viele Trekking-Pfade auch im Alleingang bewältigen. Wer zu Abwechslung eine Runde Windsurfen will, findet auf der Insel Cheung Chau nicht nur den passenden Strand, sondern im Cheung Chau Windsurfing Centre auch die Ausrüstung. Infos zum Surfboard-Verleih und zu den Surf-Kursen im Tai Long Bay gibt es bei Surf Hong Kong.

Weitere Infos: Das Hong Kong Tourism Board Frankfurt, Tel: 069 - 9591290, www.discoverhongkong.com/de/ bietet einen Hiking-Guide und andere Aktiv-Broschüren sowie Karten. Ausführliche Infos gibt es auch auf der Webseite Hong Kong Outdoors.

Zur Autorin

Françoise Hauser ist freie Journalistin und leidenschaftlich gerne in Asien unterwegs. Hongkong gehört zu ihren Lieblingsdestinationen. Sie hat mehrere Reisebücher verfasst, zuletzt etwa: In 80 Fettnäpfchen um die Welt: Der Knigge für Weitgereiste, National Geographic Taschenbuch, 208 Seiten, 14 Euro.

In 80 Fettnäpfchen um die Welt: Der Knigge für Weitgereiste
Foto: National Geographic
„In 80 Fettnäpfchen um die Welt: Der Knigge für Weitgereiste“

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