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21.00 Uhr. „Vom Schlaf lässt sich nichts wegzwicken“

Interview: Martin Foszczynski, Illustration: Romina Birzer

Aktiv sein, wenn andere schlummern, klingt für viele Naturliebhaber reizvoll. Die Nacht zum Tag zu machen, würde auf Dauer aber nicht gut gehen, sagt Sportmediziner Dr. Robert Fritz.

Bergwelten: Was passiert mit unserem Körper während der Nachtstunden? Können Sie mich auf eine innere Reise mitnehmen?

Dr. Robert Fritz: Unser Körper folgt einem sogenannten zirkadianen Rhythmus, also einem biologischen Rhythmus mit einer Dauer von rund 24 Stunden. Er führt bestimmte Stoffwechselprozesse zu bestimmten Zeiten des Lichts und des Nicht-Lichts durch. Das merkt man zum Beispiel, wenn man mal in eine andere Zeitzone reist – wir sind dann plötzlich völlig durcheinander: Obwohl es dort hell ist, sind wir müde, obwohl es dort dunkel ist, sind wir hellwach. Es gefällt dem Körper überhaupt nicht, wenn wir den gewohnten Rhythmus unterbrechen oder ändern. Das kostet ihn Energie und verursacht Stress. Eine Nachtphase, in der der Körper zur Ruhe kommt, ist somit etwas total Wichtiges. Der Körper fährt dann die Körperaktivität herunter, die Herzfrequenz wird niedriger, auch der Blutdruck geht hinunter, oder sollte es zumindest. Natürlich muss diese Phase nicht immer in die Nachtzeit fallen – wir haben heutzutage schließlich die Möglichkeit, künstlich abzudunkeln oder eben künstlich Licht zu machen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass es kein elektrisches Licht gab. Da war in der Nacht Ruhe.

Das heißt, der Körper schaltet in der Nacht in eine Art Sparbetrieb?

Genau. Der Herzschlag geht hinunter, weil das Herz kaum aktiv ist. Es hat ja die Aufgabe, das Blut mittels Pumpfunktion überall hinzutransportieren. Wenn ich beim liegenden Schlafen in der Horizontalen bin, ist der Aufwand für den Herzmuskel ziemlich gering, und der Körper hat wegen der Inaktivität auch wenig Bedarf an Blut. Das Einzige, was er machen muss, ist regenerieren. Und der Aufwand dieses Regenerierens hängt natürlich davon ab, wie intensiv der Tag oder die Woche davor war.

Bedeutet das, dass der Körper je nach vorangegangener Belastung mehr oder weniger Schlaf braucht?

Wenn ich tagsüber eine besonders intensive Bergtour gemacht habe, kann es sein, dass ich in der Nacht nicht so gut zur Ruhe komme und am nächsten Tag auch nicht so gut regeneriert bin – weil es sich in der Zeit einfach nicht ausgegangen ist. Sprich, der Körper hat mehr Belastung erfahren, als er Regenerationszeit hatte. Eines ist ganz klar: Die Regeneration ist extrem wichtig und wird total unterschätzt. Wer den Schlaf als etwas Vernachlässigbares ansieht, das man ruhig öfter mal unterbrechen kann, begeht Raubbau an seinem Körper. Das Credo „Sei in der Nacht aktiv, dann kannst du den Tag noch effizienter nutzen“ – das geht voll in die Hose. Zwischen sechs und acht Stunden Regeneration sind nötig, das ist individuell – darunter ist fast für alle zu wenig.

Dr. Robert Fritz beim Lauftraining in der Region Schladming. Nur mit ausreichend Schlaf ist man am Berg sicher unterwegs.
Dr. Robert Fritz
Dr. Robert Fritz beim Lauftraining in der Region Schladming. Nur mit ausreichend Schlaf ist man am Berg sicher unterwegs.

Könnte man das Regenerationsdefizit kompensieren, indem man zum Beispiel nur einmal in der Woche Sport in der Nacht betreibt oder vor- bzw. nachschläft? Können Sie dem Sporteln in den Nachtstunden wirklich gar nichts abgewinnen?

Nacht ist für mich relativ. Ich halte sehr viel davon, Sport am Abend oder vielleicht in den frühen Morgenstunden zu machen. Die ganze Nacht durch Sport zu betreiben, finde ich nicht gescheit. Gegen 22 Uhr spricht gar nichts dagegen. Da würde ich aber unbedingt darauf achten, die Aktivität niedrigintensiv zu halten. Um die Uhrzeit nochmals Intervalle oder eine intensive kurze Bergwanderung zu machen, davon rate ich ab. Einfach weil es sehr viele Stoffwechselprozesse wieder aktiviert, ebenso Hormone wie Adrenalin – die ganze Stresskaskade wird also wieder in Gang gesetzt. Danach werde ich sehr schlecht schlafen und ebenso schlecht regenerieren. Am Abend ist niedrigintensives Grundlagenausdauertraining wie lockeres Laufen oder Radfahren die beste Wahl. In den Morgenstunden hingegen kann es auch intensiv sein, da ist die Regeneration abgeschlossen.

Wenn jemand kleine Kinder hat und deshalb um 21 Uhr ohnehin schon im Bett liegt, kann er durchaus um 5 Uhr in der Früh laufen gehen, wenn er sich dabei wohl fühlt, da spricht überhaupt nichts dagegen. Ich persönlich bin eine typische „Eule“, also ein abendaktiver Typ – so früh Sport zu machen würde mir kein Vergnügen bereiten.

Warum gibt’s eigentlich Morgen- und Abendmenschen? Ist das genetisch veranlagt? Lässt sich das irgendwie umpolen?

Ob es wirklich genetisch oder sozial bedingt ist, kann ich nicht beurteilen. „Eulen“, also Abendmenschen, und „Lerchen“, also Frühaufsteher – Chronotypen wäre der Fachausdruck dafür – sind so, wie sie sind. Umerziehen kann man das eigentlich nicht. Als Schulkind bin ich bereits Wochen vor dem Ende der Sommerferien in der Früh geweckt worden, damit ich das frühe Aufstehen wieder „lerne“ – kompletter Schwachsinn. Wenn ich als Abendmensch trotzdem versuche, einmal pro Woche in aller Früh Sport zu machen, ist auch nichts dabei. Aber denen würde ich auf keinen Fall raten, es täglich zu tun. Das kostet Energie – und ganz ehrlich: Bewegung mache ich nur dann, wenn’s Spaß macht. Quälerei soll es keine sein.

Gibt es aus medizinischer Sicht auch dezidierte Vorteile, Sport außerhalb der Tagesstunden zu machen? Ich denke vor allem an die kühleren Temperaturen im Sommer. Beziehungsweise wenn man die Frage in einen größeren Rahmen setzt: Könnte Sport bei Nacht in Zeiten des Klimawandels zu einem gesellschaftlichen Trend werden?

Jein. Es ergibt einerseits natürlich absolut Sinn, bei Hitze an den Tagesrandzeiten zu trainieren, also in der Früh und am Abend, wenn es kühler und somit angenehmer ist. Grundsätzlich ist Sport bei Hitze aber nichts akut Gefährliches, das wird schon auch ein bisschen aufgebauscht. Meine Patienten verlegen den Sport eher aus Zeitdruck an die Randzeiten des Tages. Weil sie halt fest in einer Alltagsstruktur gefangen sind, in der sie von 8 Uhr bis 18 oder 19 Uhr arbeiten. Da geht’s schlicht um die Settings des Alltags. Homeoffice hat hier einiges in Bewegung gebracht – plötzlich kann man auch zwischen den Arbeitstätigkeiten eine Sporteinheit einschieben, das finde ich sehr gut.

Für den großen Teil der Bevölkerung werden die frühen Abendstunden als beste Option übrig bleiben. Ich würde da aber wie schon erwähnt auf moderate Intensitäten achten, damit ich runterkommen und die Stresshormone des Tages abbauen kann. Danach werde ich auch besser schlafen – das funktioniert genial. Für mich ist Bewegung eines der besten Medikamente der Welt, wenn man sie richtig dosiert. Sich eine solide Grundlagenausdauer zu holen bringt enorm viel. Die Weltgesundheitsorganisation fordert zu Recht 150 Minuten Ausdauerbelastung pro Woche, das sind zweieinhalb Stunden. Also 30 Minuten an fünf Wochentagen. Das ist absolut umsetzbar, und damit hole ich mir nicht nur eine super Fitness, sondern erspare mir auch viele Krankheiten.

Sie plädieren für die Allgemeinheit also eher für moderate Sporteinheiten an den Randzeiten. Haben Sie auch Erfahrungen mit Leistungssportlern, die intensiv in der Nacht trainieren, beispielsweise Triathlet*innen? Könnten die Nachtstunden auch körperliche Vorteile mit sich bringen – etwa eine niedrigere Herzfrequenz?

Die Herzfrequenz geht runter, wenn man zur Ruhe kommt – sobald man aktiv wird, ist sie wieder oben. Manche Menschen werden in den frühen Morgenstunden sogar eine höhere Herzfrequenz als tagsüber haben, weil sie einfach gestresst sind. Das kann auch am Abend der Fall sein, wenn der Tag mühsam war und ich abends meine Probleme wälze.

Je weniger der Körper belastet ist, desto niedriger ist die Herzfrequenz – und hier kommt wieder die Temperatur ins Spiel. Wenn dem Körper heiß ist und er kühlen muss, braucht er Energie. Er hat nämlich ein großes Ziel: die Körpertemperatur auf 37 Grad zu halten. Bei Hitze versucht er durch Schwitzen – also Wasserausscheidung – Verdunstungskälte auf der Haut zu erzeugen. Das bewirkt eine Abkühlung der Blutgefäße, die direkt unter der Haut liegen. Der Körper transportiert diese Kühle mit dem Blut zum Körperzentrum. Das bedeutet für ihn Arbeit und eine höhere Herzfrequenz.

Wenn ich Sport in die kühlere Nacht verlagere, wäre die Herzfrequenz dann doch automatisch niedriger?

Genau. Wobei es nur kühler ist – das hat nicht in erster Linie mit der Nacht zu tun. Wenn es nachts zu kalt ist, verursacht das ebenso Stress, denn der Körper muss die Körpertemperatur jetzt nach oben korrigieren, indem er alle Gefäße außen zumacht, um keine Wärme zu verlieren. Wieder steigt die Herzfrequenz und werden Stresshormone ausgeschüttet. Das sollte ich in der Regel natürlich vermeiden. Wieder ein Grund, warum extreme Unternehmungen, für die ich lange vor Sonnenaufgang starte, die Ausnahme bleiben sollten. Für ein besonderes Erlebnis, wie einen hohen Gipfel oder ein Marathon-Event, kann ich es schon mal machen. Wobei ich hier auf das erhöhte Verletzungsrisiko achten muss. Schlafentzug ist so ähnlich wie Alkoholeinfluss – wenn ich drei Bier trinke, bin ich ähnlich beeinträchtigt wie nach einer durchgemachten Nacht, das kann am Berg beides sehr gefährlich sein.

Der wahre Vorteil der Nacht ist, dass es ruhiger ist. Es herrscht weniger Lärm, weniger Stress, weniger Verkehr – all diese Dinge, die mich bei vielen Sportarten beeinflussen, das spielt schon auch mit. Ob ich im stressigen Mittagsverkehr mit dem Rad unterwegs bin oder allein im Morgengrauen, hat natürlich Auswirkungen auf die Herzfrequenz.

Insgesamt klingt das alles tatsächlich nach einer klaren Empfehlung für Sport am frühen Morgen oder späten Abend …

Ich würde jedem den Tipp geben: Probiert das eine, probiert das andere – und macht einfach, was sich gut anfühlt und ausreichende Regenerationszeiten ermöglicht. Findet euer bestes Setting. Hier ist auch praktisches Denken gefragt: Wenn ich ohnehin um sechs Uhr früh munter bin, weil ich gleichzeitig mit den Kindern früh ins Bett gehe, kann ich doch die Laufschuhe schnüren und eine schöne Runde drehen. Das ist wahnsinnig meditativ, hat tolle Auswirkungen auf Stoffwechselprozesse und die Psyche. Und beim Zurückkommen hole ich beim Bäcker ein gescheites Frühstück, alle sind happy. So einfach kann das sein.

Seinen Trainingsplan mitten in der Nacht anzusetzen, weil er bei Vollzeitjob und Kindern anders nicht untergebracht werden kann, ist hingegen ein Riesenfehler. Zu sagen: „Dann schlafe ich einfach nicht mehr“, geht in die Hose. Darunter leidet die Regeneration, weil ich vom Schlaf nichts wegzwicken kann.

Herr Dr. Fritz, vielen Dank für das interessante Interview.

Dr. Robert Fritz ist Mitbegründer der Sportordination in Wien
Sportordination
Dr. Robert Fritz ist Mitbegründer der Sportordination in Wien

Zur Person

Dr. Robert Fritz ist Mitbegründer der Sportordination in Wien, eines der größten sportmedizinischen Kompetenzzentren in Europa, sowie langjähriger Leiter des Medical Centers beim Vienna City Marathon und beim Österreichischen Frauenlauf. Er ist selbst aktiver Sportler und hat bereits mehrere Ironmans und zahlreiche internationale Marathons absolviert. 2017 hat er gemeinsam mit seiner Frau Romana die Mixed-Wertung der „Crocodile Trophy“ – eines der härtesten Mountainbike-Etappenrennen der Welt – gewonnen.

Alle Inhalte des Dossiers:

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