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Essay

Leistung, Leistung, Leistung

Text: Katharina Brunnauer-Lehner | Illustration: Romina Birzer

Vierzehn Achttausender, Everesting und andere Bergrekorde: Wem wollen wir eigentlich etwas beweisen?

Es ist Zeit, aus dem Nähkästchen zu plaudern, genauer gesagt aus dem digitalen Postkästchen der Bergwelten-Redaktion:

Herbert schreibt, er würde gerne eine Woche im Karwendel wandern, welche Route zu empfehlen sei? Bergwelten-Autorin Sissi Pärsch war vor Ort und hat viele Tipps mitgebracht. Wir teilen sie gerne. Herbert wandert los und schickt Fotos.

Daniela hat sich von einer der letzten Ausgaben inspirieren lassen und ist zum Weitwandern aufgebrochen. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie lässt uns ihre Erlebnisse zukommen.

Alina ist in Albanien unterwegs. Am Koman-Stausee, von wo Autorin Franziska Tschinderle und Fotograf Ilir Tsouko eine Reportage mitgebracht haben. Alina schreibt, sie erinnere sich, es sei ein Lokal in dem Bericht erwähnt gewesen, das sie nun gerne besuchen würde. Wir schicken ihr die Adresse.

Im digitalen Postfach der Bergwelten-Redaktion sammeln sich Geschichten vom Inspiriertsein, vom Hinausgehen, vom Genießen der Zeit in den Bergen. Doch vor allem eine Art Nachricht häuft sich zuletzt.

Es sind Ankündigungen umfangreicher Vorhaben und Berichte großer Leistungen. Leser*innen, die uns erzählen, sie hätten vor, auf den höchsten Berg jedes österreichischen Bundeslandes zu steigen und die Strecke dazwischen mit dem Rad zurückzulegen. Solche, die „Everesting“ betreiben – also an einem Tag an einem selbst gewählten Berg die Höhenmeter überwinden, die nötig wären, den 8.848 Meter hohen Mount Everest zu besteigen. Richtig, dafür muss man mehrmals rauf und runter, etwa 9,5-mal auf den Patscherkofel bei Innsbruck. Andere haben sich vorgenommen, in einem Jahr möglichst viele Höhenmeter zu sammeln. Da fällt schon einmal die Zahl 1,5 Millionen.

Diese Projekte sind beeindruckend, keine Frage. Die Häufung regt jedoch zum Nachdenken an. Auch im privaten Umfeld werden Marathons gelaufen, Hausberge x-mal bestiegen; ich selbst habe mich am 24-Stunden-Durchwandern versucht.

Also: Sind wir jetzt alle wirklich so leistungsgetrieben?

Foto: David Marcu
Foto: David Marcu
Foto: David Marcu

Die Bucket List des Lebens

Dass es laut den Erfindern des Konzeptes bereits 22.871 erfolgreich durchgeführte Everesting-Projekte gab, ist ein Indiz dafür. Dass Sportuhrenanbieter ihre Apps auf Erfolge auslegen – man mit jeder Aktivität, die man trackt, näher dran ist, ein Level aufzusteigen –, ein weiteres. Für unsere Leistungen werden wir belohnt, das haben wir gelernt. Schon lange bevor wir Likes auf Social-Media-Plattformen gezählt haben. Schließlich ist auch unser Leben abseits der Berge darauf ausgerichtet. Sei es im ganz Großen, wenn es darum geht, dass die Menschheit immer weiter ins Weltall vordringt, oder im Kleinen, wenn wir die Portion Extraenergie aufwenden, für die Gehaltserhöhung, die uns die bessere Wohnung, den besseren Urlaub bescheren kann. Alles bereit zum Abhaken, auf der Bucket List des Lebens.

Was aber, wenn man Großes geleistet hat, etwa die 14 Achttausender bestiegen, und dann kommt jemand und stellt einem das in Abrede? Wie aktuell Bergchronist Eberhard Jurgalski, der anhand von Fotos bewiesen haben soll, dass nur drei der 44 Rekordhalter*innen tatsächlich auf den jeweils höchsten Punkten dieser Berge gestanden haben.

War dann alles umsonst, oder muss man noch mal ran? Der deutsche Extrembergsteiger Ralf Dujmovits hat sich ob der aktuellen Erkenntnisse jedenfalls dazu entschieden, es noch einmal mit dem 8.163 Meter hohen Manaslu zu versuchen und diesmal auf den tatsächlichen Gipfel zu steigen, anstatt auf dem Vorgipfel zu landen, wie es ihm 2007 passiert ist. Dann wäre die Liste der 14 Achttausender auch in den Augen des Bergchronisten wieder voll. Dujmovits mache es aber nicht für die Liste, wie er der „NZZ“ erzählt, sondern nur für sich.

Wozu dann überhaupt Listen und Rekorde? Vor allem abseits des Profisports. Haben nicht vielmehr Herbert, Daniela und Alina recht, wenn sie einfach in die Berge aufbrechen, um ihre Zeit dort zu genießen? Mit rein sachlichen Argumenten ist die Leistungslust schwer zu erklären. Eher mit dem Gefühl, das man nach Erreichen eines persönlichen Ziels erlebt. Und damit, dass gute Geschichten immer von Höhen und Tiefen geprägt sind:

Ich hatte eine Aufgabe, also zog ich los, stieß auf zahlreiche Beschwerlichkeiten und erreichte am Schluss doch mein Ziel. Applaus!

Themenschwerpunkt „Leistung“:

Was muss auf der Bucket List des Lebens und auf dem Berg abgehakt werden? Wie ist das, wenn man erst „später“ mit einem ganz neuen Sport beginnt? Welche Höhepunkte gab es im Alpinismus? Welche Leistungen werden am Berg eigentlich erbracht und wie ist das, wenn man schon alles erreicht hat?

Diese Fragen und viele mehr haben wir uns im Dossier zum Thema „Leistung“ gestellt und versucht zu beantworten.

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