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2.330 km Colorado River, Teil 3

Canyonlands: Die Geheimnisse der Wüste

• 27. März 2019
4 Min. Lesezeit

Ana Zirner folgt zurzeit dem Colorado River – 2.330 km, von seinem Ursprung in den Rocky Mountains bis an den Golf von Kalifornien in Mexiko. In den Canyonlands (Utah) macht sie zum ersten Mal Bekanntschaft mit den endlosen Weiten der Wüste.

Ana Zirner Colorado River
Foto: Ana Zirner
Mit Regenwasser gefüllte Felsmulden (potholes) versorgen Ana in den Canyonlands mit Trinkwasser
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Ich wache auf, als die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht kitzeln. Es ist kalt, aber der Wind, der mich nachts geärgert hat, hat sich verzogen und die Sonne beleuchtet die roten Wände. Die Farbe, in der sie strahlen, erinnert mich ans Alpenglühen. Nach einer kraftvollen Yoga-Session und einem warmen Frühstück bin ich bereit für den Tag.

Mit den 4,5 Litern Wasser, die ich aus dem Colorado gefiltert habe, ist mein Rucksack ziemlich schwer, als ich mich vom Fluss verabschiede. Ich sollte wirklich mal meinen Rucksack wiegen, weil mich so oft Leute nach dem Gewicht fragen und ich es nie weiß... Ich bin nicht ganz sicher, wie viel Wasser ich in den nächsten Tagen finden werde und hoffe auf vom Regen gefüllte „Potholes“, kleine Mulden im Fels. Ich werde bestimmt vier Tage brauchen bis ich mein Ziel, den Hafen von Hite, erreiche, wo der Colorado River in den Stausee Lake Powell übergeht.

Dinner with a View: Zum Abendessen gibt's Burrito ohne Wrap

Giganten im „Puppenhaus“

Zunächst geht es einen steilen Pfad an der Wand des Canyons hinauf, aber ich freue mich über die mir vertraute Fortbewegungsform des Steigens. Als ich oben die Kante erreiche und darüber hinausschaue, verschlägt es mir kurzzeitig den Atem. Ich stehe mitten im „Dollhouse“ (Puppenhaus), einer Art natürlichem Amphitheater. Ringsum ragen hohe rote Felsnadeln in den Himmel. Sie wirken wie Spielfiguren eines überdimensionierten Brettspiels und bei näherer Betrachtung stellen sie alle verschiedene Charaktere dar. Sie wirken gut gelaunt und ihre positive Stimmung kribbelt in meinem Magen. Sie sind nicht statisch, sondern scheinen so dynamisch, dass ich mir vorstellen kann, dass sie anfangen zu tanzen, sobald ich ihnen den Rücken zukehre. Als ich das Dollhouse verlasse, drehe ich mich ein paarmal ruckartig um, aber sie lassen sich von mir nicht austricksen und bewahren ihre humorvolle Ruhe.

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Dollhouse: Ein „Puppentheater aus Fels“

Und dann bin ich wirklich in der weiten Wüste. Unter einem hellblauen Himmel kann ich meilenweit in alle Richtungen schauen – nur ein paar rote Felsnadeln ragen hier und da aus dem flachen und sehr vegetationsarmen Land und helfen mir bei der Orientierung. Auf wohltuende Weise nehme ich meine eigene Kleinheit wahr. Möglicherweise bin ich gerade weit und breit der einzige Mensch hier und das ist ein berauschendes Gefühl. Ein leichter Wind verweht die Sonnenstrahlen, aber es ist dennoch warm genug um kurzärmelig unterwegs zu sein. Weit im Osten sehe ich die klaren Formen der schneebedeckten La Sal Mountains.

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Berauscht von Einsamkeit

Zu Sonnenuntergang stehe ich am Rand von „The Maze“. Ich schaue hinab in einen unendlichen Irrgarten aus wilden Canyons, die sich wie Furchen tief zwischen den zart hellgrün-weißen „Dächern“ eingraben und deren Boden für mich von hier aus unsichtbar ist. Es ist als läge dort eine Geisterstadt auf dem Grund und während das Licht der untergehenden Sonne noch sanft die Dächer streift, werden die Tiefen des Labyrinth langsam in eine geheimnisvolle Dunkelheit getaucht. Je länger ich in die Canyons blicke, umso stärker empfinde ich einen unheimlichen Sog, der von den Tiefen der rätselhaften Stadt auszugehen schein. Sie ziehen mich magisch an und etwas in mir will sich mitten hinein verlieren, tief darin eintauchen. Die absolute Stille und Unbeweglichkeit dieses Ortes ist auf eine mysteriöse Art unglaublich friedlich. Ich reiße mich zusammen, widerstehe dem Sog und wandere zurück zu meinem Zelt, das zwischen einem roten Felsblock und einem niedrigen knorrigen Baum auf mich wartet.

Blick in „The Maze“

Im Schlafsack liegend denke ich an die Worte des großartigen Autors Edward Abbey in seinem Buch „Desert Solitaire“. Ich versuche hier mal eine meiner Lieblingsstellen zu übersetzen:

“Die Wüste spricht nicht. Absolut passiv, behandelt aber nicht handelnd, liegt sie da wie das nackte Skelett des Seins, pur, bar, sparsam, vollkommen nutzlos, lädt sie nicht ein zu lieben, sondern zu sinnieren. In ihrer Einfachheit und Ordnung suggeriert sie das Klassische, nur dass die Wüste dabei ein Reich für sich darstellt, das jenseits des Menschlichen liegt, während in Klassizismus nur die menschliche Sichtweise als bemerkenswert oder gar wahr anerkannt wird. Trotz ihrer Klarheit und Einfachheit liegt über der Wüste aber ein paradoxer Schleier aus Geheimnissen. Bewegungslos und still ruft sie in uns eine flüchtige Ahnung von etwas Unbekanntem, Unerkennbarem wach, das noch zu entdecken ist. Da die Wüste nicht handelt scheint sie zu warten – aber worauf wartet sie?”

„The desert says nothing. Completely passive, acted upon but never acting, the desert lies there like the bare skeleton of Being, spare, sparse, austere, utterly worthless, inviting not love but contemplation. In its simplicity and order it suggests the classical, except that the desert is a realm beyond the human and in the classicist view only the human is regarded as significant or even recognised as real. Despite its clarity and simplicity, however, the desert wears at the same time, paradoxically, a veil of mystery. Motionless and silent it evokes in us an elusive hint of something unknown, unknowable, about to be revealed. Since the desert does not act it seems to be waiting—but waiting for what?“

Wüsteneuphorie
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Der Grand Canyon kann kommen

Ich habe gerade großartige Neuigkeiten bekommen und ich bin ganz aufgeregt. Dank meiner neuen Flussfreunde, denen ich zuletzt begegnet bin, habe ich einen der heiß begehrten Plätze für einem Grand Canyon-Trip ergattert. Man muss dazu wissen, dass es bis zu zwölf Jahre dauern kann, bis man als Privatperson ein Permit für den stark frequentierten Grand Canyon bekommt. Es bleiben also nur die sehr teuren kommerziellen Angebote für die spektakuläre 446 Kilometer lange Tour und auch die sind oft schon ein Jahr im Voraus ausgebucht. Es blieb mir also nur die gute Hoffnung, viel Herumfragen und eine Facebook-Gruppe, die bei kurzfristigen Absagen nach Teilnehmern sucht.

Seit ich in Mesa (Colorado) die zwei legendären Riverguides Bill (aka „Bronco“) und Kate kennengelernt habe, träume ich davon, den Grand Canyon nicht in einem klassischen Raft, sondern in einem Dory-Boot, einem alten handbemalten Holzboot, zu erkunden. Und genau dieser Traum geht jetzt in Erfüllung! Und das Beste daran ist: Ich bin nicht bloß als Passagier dabei, sondern als „swamper“, so nennen sich die Assistenten bei solchen Touren. Vermutlich würde es mich total verrückt machen, nicht selbst mitarbeiten zu können. Ich explodiere fast vor Vorfreude und kann es nicht erwarten, euch darüber zu berichten. Das wird geschehen, sobald ich auf der anderen Seite aus dem Grand Canyon herausgespült werde.

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