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Sicherheitsexperte Peter Plattner im Gespräch

Salzburger Lawinenkolloquium: Shitstorms & Soziale Medien

• 8. Januar 2016
4 Min. Lesezeit

In den sozialen Medien wurden im letzten Winter einige Lawinenereignisse heiß diskutiert. Alpingutachter, Sicherheitsexperte und bergundsteigen-Chefredakteur Peter Plattner ist am kommenden Donnerstag Vortragender beim Lawinenkolloquium in Salzburg. Er wird die Diskussionskultur über Lawinenereignisse beleuchten und kritisiert unsachliche Diskussionsbeiträge zur Diskussionskultur auf Facebook & Co. Bergwelten hat schon vorab mit ihm gesprochen.

Peter Plattner Skifahren
Foto: upgrund.com
Peter Plattner ist Alpingutachter und Sicherheitsexperte.
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Bergwelten: Welche Nachrichten und Posts haben dich zu Lawinen im letzten Winter besonders geärgert?

Peter Plattner: In Zusammenhang mit den Echtzeitmedien ist ja Gelassenheit gefragt und so habe ich mich weniger geärgert, sondern mehr gewundert. Über manch schwere Unfälle, teilweise auch mit fatalen Folgen, wurde sehr sachlich berichtet – das ist gut so. Aber über andere Ereignisse sind regelrechte Shitstorms losgebrochen. Vor allem in den Sozialen Medien wurde teilweise gerne emotional und komplett unreflektiert gepostet. Das ist im Sinne dessen, dass man aus Unfällen unter Umständen auch etwas lernen möchte, sehr kontraproduktiv.

Wie wurde diskutiert?

Ich hatte den Eindruck, dass es „die“ Community, welche dieselbe Leidenschaft teilt, nicht mehr gibt. An sich nichts ganz neues und die vielgerühmte Bergkameradschaft hatte immer schon ihre Grenzen. Doch dass einige Skitourengeher regelmässig gerne mit dem Finger auf andere gezeigt haben wird, nach dem Motto „Uns würde das nicht passierten“ oder „Wir sind sicherheitsbewusster unterwegs“ überrascht. Dieses Verhalten hat zugenommen und ist für mich nur schwer nachvollziehbar.

Und wie sollte man in Sozialen Medien über Lawinenunfälle diskutieren?

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Dass sie der richtige Platz für Analysen sind, bezweifle ich. Prinzipiell ist es begrüssenswert, wenn über Unfälle - am besten die eigenen - offen gesprochen wird. Nach der Prämisse: Das muss Anderen nicht auch passieren. Doch man muss die Fakten kennen. Ohne sie kann man nur mutmaßen. Und diese Tatsachen liegen meist erst nach Veröffentlichung eines Unfallberichtes, Gutachtens oder eines Erfahrungsberichtes vor - was Zeit benötigt.

Ich verstehe schon, dass gerade Journalisten oft nicht so lange warten wollen und können, aber dann müssen sie sich zumindest eine kompetente Auskunftsperson suchen. Es fühlen sich immer öfter Leute aus der Skitouren-Community bemüßigt, zu solchen Ereignissen Kommentare abzugeben obwohl sie nicht genügend oder gar kein relevantes Hintergrundwissen dazu haben.

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Wer beispielsweise?

Wer auch immer dazu aus verschiedenen Gründen motiviert ist: z.B. der oben erwähnte „mache-immer-alles-richtig“-Paradetourengeher, der einen erzieherischen Auftrag verspürt. Oder der lokale Vertreter einer Berufsgruppe oder eines Vereins, der schon darauf hinweisen möchte, dass ganz einfach die notwendige Führungskompetenz oder alpine Erfahrung gefehlt habe — mit dem Hinweis, dass diese klarerweise in den eigenen Reihen zu finden wäre.

Ein anschauliches Beispiel dazu? Im vergangenen Winter kursierten Fotos, wo 40 Menschen bei einer geführten Tour eines alpinen Vereins im Gänsemarsch einen Hang aufgestiegen sind und sich dann bei der Abfahrt ein Schneebrett gelöst hat. Das Schneebrett war klein und niemand wurde verletzt. Anstatt sich zu freuen, dass nichts passiert ist und dann eventuell konstruktive Kritik an der Gruppengröße usw. zu üben, startete auf Facebook ein Shitstorm, eine Anzeige wurde erstattet und der Höhepunkt war, als bedauert wurde, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat ...

Peter Plattner
Foto: Lukas Gansterer
Peter Plattner diskutiert am Lawinenkolloquium über Shitstorms nach Lawinenereignissen.

Und bringt das irgendwem was?

Nein. Letztendlich verlieren alle, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird.

Wer kann dann über die Schuldfrage entscheiden?

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Bei schweren Unfällen kann die Staatsanwaltschaft aufgrund der alpinpolizeilichen Ermittlungen bzw. eines Gutachtens ein Verfahren eröffnen und das Gericht entscheidet dann über eine mögliche Fahrlässigkeit. Wie in jedem anderen Bereich hat dieses juristische Nachspiel aber wenig mit Gerechtigkeit und schon gar nichts mit moralischer Verantwortung zu tun.

Ebenso bedeutet kein Verfahren nicht, dass alles optimal gemacht wurde. Wer beim Skitourengehen — oder irgendwo sonst im alpinen Gelände — einen Unfall hat und sich mit der Frage quält, ob er etwas anders hätte machen können, um die Verletzung oder gar den Tod eines Gruppenmitglieds zu vermeiden, dem wünsche ich gute und kompetente Freunde, mit denen er oder sie offen über die Ereignisse sprechen kann.

Die Meinung eines Richters wird nur den wenigsten eine Hilfe sein. Ebenso wenig, wie verlangt werden darf, dass jemand, der mit dem Risikosport Bergsteigen nichts zu tun hat, versteht, warum wir uns freiwillig ins lawinengefährdetet Gelände begeben. Erwarten dürfte ich das aber von allen anderen Skitourengehern, von der Community, egal ob im echten Leben oder im Netz. Deren Selbstanmaßung, über richtig und falsch öffentlich zu empfinden, ohne alle Fakten zu kennen kritisiere ich. Ich habe das Gefühl, die Leute posten heute auf Facebook das, was sie früher auf eine Klotüre gekritzelt hätten.

Was ist die Gefahr solch einer Diskussionskultur?

Das Ganze darf nicht überbewertet werden, denn schon morgen sind wieder andere Themen interessanter. In Wirklichkeit sind es nur wenige Skitourengeher, die das online am köcheln halten. Sie bilden eine Mikrogesellschaft, die sich vor allem selbst wichtig nimmt. Es ist keine gute Idee in Zeiten, in denen sich die Öffentlichkeit bemüßigt fühlt, das Individuum durch Regeln und Beschränkungen vor allen erdenklichen Risiken und Gefahren zu schützen, sich selbst ans Bein zu pinkeln.

Skitourengehen ist nun einmal eine Tätigkeit mit der zwangsläufig ein Risiko verbunden ist. Nur weil es sich zum Breitensport entwickelt hat ändert sich nichts daran. Wenn wir nun selbst beginnen andere per se an den Pranger zu stellen, wenn sie eine Lawine auslösen, dann spielen wir jenen in die Hände, welche das Skitourengehen aus verschiedenen Gründen — von der Versicherung bis zum Umweltgedanken — einschränken möchten. Ein klassischer Schuss ins Bein.

Wofür plädierst du?

Für mehr Gelassenheit und den Versuch, sich in die Position anderer hinein zu versetzen. Wenn ich nichts Genaues weiß, sollte ich meine Vermutung nicht rausposaunen. Und auch wenn ich genaues weiß, sollte ich mir gut überlegen in welcher Form, mit welchen Konsequenzen — und vor allem warum — ich es der Allgemeinheit kundtun möchte. Gleichzeitig gilt es, die Meinung eines anderen zu akzeptieren bzw. mit Argumenten dagegen zu halten. Aber es kann nicht sein, dass jemand zu seinem Handeln steht – wie in einem konkreten Fall einer alpinen Fehlentscheidung mit Unfallfolge — und dafür öffentlich „zerrissen“ wird.

Diskutierst du selbst in Sozialen Medien mit?

Nein. Ich verfolge das beruflich, wenn ich muss, aber ich halte nichts davon, hier groß eine Diskussion zu führen. Und da nicht der mit den besten Argumenten gewinnt, sondern der, der am meisten Zeit damit verbringt Kommentare zu schreiben, ist mir die Zeit dafür zu schade. Ich gehe lieber mit Freunden Skifahren und diskutiere mit denen.

Veranstaltungsinfo:

Das Lawinenkolloquium zum Thema „Lawinen in den Medien“ findet am Donnerstag den 14. Jänner im Unipark Nonntal in Salzburg statt. Beginn ist um 19 Uhr, Eintritt ist frei. Weitere Vortragende neben Peter Plattner sind der Buchautor Markus Stadler und ServusTV-Redakteurin Milena Preradovic. Die 3 Vortragenden werden Lawineninformationen und Berichterstattung über Lawinenunfälle aus Medienperspektive und Anwenderseite beleuchten, sowie für Fragen und Diskussion zur Verfügung stehen.

Mehr Infos unter www.lawinenkolloquium.net

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