16.800 Touren,  1.600 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Pepe Brix
Abenteuer im Atlantik

Santa Maria - Wandern auf den Azoren

• 28. März 2022
8 Min. Lesezeit

In fünf Tagen lässt sich die spärlich besuchte Azoren-Insel Santa Maria zu Fuß umrunden. Obwohl sie winzig ist, bietet sie alles: Klippen und Strände, Berge und Steppen, Wälder und Wüsten. Veronika Dolna berichtet von ihrem Wanderabenteuer mitten im Atlantik. 

Text: Veronika Dolna für das Bergwelten-Magazin Oktober/November 2018

Plötzlich ist das Meer verschwunden. Bis jetzt war es unser ständiger Begleiter, einmal weit unter uns, dann wieder ganz nah. Manchmal konnten wir es nur riechen. Aber immer genügte es, den Kopf etwas zu drehen, damit wir den Ozean wieder sahen. Doch jetzt gibt’s keine Spur von ihm.

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Wir marschieren eine steile Weide hinauf, als uns plötzlich dichter Nebel umgibt. Einen Moment später wäscht ein kräftiger Regenguss den salzigen Geruch aus der Luft. Die Küste, die bis hierhin Orientierung gab, ist weg. Bei klarer Sicht ist eindeutig, wo wir gehen müssen. Der Wanderweg ist gut beschriftet, alle paar hundert Meter leuchtet eine farbige Markierung. Doch jetzt macht der Nebel sie unsichtbar.

In den Alpen wäre so ein Szenario furchteinflößend. Doch hier, auf den Azoren, mitten im Atlantischen Ozean, ist es nur eine kleine Geduldsprobe. Genauso schnell wie das Wetter gekommen ist, verflüchtigt es sich auch wieder. Vom Hügel aus kann man zuschauen, wie die Sonne die Wolken zur Seite schiebt. Zweihundert Meter vor uns blitzt schon die nächste Markierung hervor.

An ihren längsten Stellen misst die Insel Santa Maria 13,5 Kilometer von Westen nach Osten und 10 Kilometer von Norden nach Süden. In fünf Tagen wollen wir sie zu Fuß umrunden. Möglich machen das Ioannis und Rita. „Als wir hier angekommen sind, wussten wir sofort, dass wir bleiben“, sagt Ioannis Rousseau. Seit vier Jahren lebt der 39-jährige Franzose mit seiner Frau Rita, 44, hier. Rita ist Portugiesin, auch sie wurde auf dem Festland geboren. Als das Paar nach einer dreijährigen Weltumsegelung sesshaft werden wollte, war sofort klar, dass dies auf Santa Maria passieren sollte. „Die Ruhe hier, die vielfältige Landschaft und die friedliche Atmosphäre haben uns sofort verzaubert“, sagt Rita.

Über schwarzes Lavagestein stürzt der Aveiro-Wasserfall hinab

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In Vila do Porto, dem Hauptort, in dem etwa 5.500 Menschen wohnen, haben die beiden uns für die Inselumrundung ausgestattet: mit guten Tipps („Habt die Regenjacke immer bei der Hand!“), einer Wanderkarte und einem Schlüssel. Die Karte gibt die Etappen für die nächsten fünf Tage vor. Der Schlüssel öffnet die Hütten, in denen wir übernachten werden. Am Hafen geht es los, und am Hafen werden wir wieder ankommen.

In der Wetterküche

Obwohl Santa Maria winzig ist – mit dem Auto braucht man nie länger als vierzig Minuten irgendwohin –, vermittelt die Insel ein Gefühl der Vollständigkeit. Auf nicht einmal hundert Quadratkilometern existiert hier eine eigene Welt mit Küsten und Flüssen, Wäldern und Wiesen. Im Norden ragt ein raues Kap auf, im Süden liegen Sandstrände. Im Osten steigen steile Terrassen in die Höhe. Der Westen ist von einer kargen Steppe überzogen. Und dazwischen protzen ein immergrüner Berggipfel, Höhlen, Wasserfälle und eine rote Wüste.

In den letzten Jahren haben sich die Azoren zu einem beliebten Urlaubsziel entwickelt. In Europa eilt ihnen ein guter Ruf voraus. Das Azorenhoch sorgt regelmäßig dafür, dass wir zu Hause tagelang blauen Himmel haben. Und obwohl in der Wetterküche selbst oft ziemlich wild durcheinandergemischt wird, dauern die Schlechtwetterphasen hier nie lange an.

Die meisten Touristen bleiben auf der Hauptinsel São Miguel. Nach Santa Maria verschlägt es nur drei Prozent der Besucher. Wenn es nach den Inselbewohnern geht, kann das gerne so bleiben: „Wir brauchen nicht viele Touristen“, sagt Ioannis Rousseau, „aber den Leuten, die sich wirklich darauf einlassen wollen, zeigen wir gerne die Schönheit unserer Insel.“

Aus Liebhaberei begannen Freunde von Ioannis vor zwei Jahren damit, die Pfade auf der Insel zu einem 81 Kilometer langen Weitwanderweg zusammenzufügen und zu markieren. 2015 wurde die Grande Rota eröffnet. Doch in der ersten Saison ging kein einziger Gast die ganze Strecke. Unterwegs gibt es nämlich kaum Unterkünfte, und wildes Campen ist auf dem ganzen Archipel verboten. Ein paar wenige Wanderer quartierten sich in Vila do Porto ein und ließen sich jeden Tag mit dem Taxi zum Etappenstart bringen und am Ziel wieder abholen. „Aber das ist ja nicht das, was man sucht“, sagt Ioannis, selbst begeisterter Wanderer. Deshalb wurden Rita und er aktiv.

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An der Nordküste wandern wir Richtung Westen. Die wilde Üppigkeit weicht hier einer steppenartigen Vegetation

Klippen und Strand

Das Ehepaar kaufte vier alte Steinscheunen entlang der Strecke und richtete sie in Handarbeit her. Von außen sehen sie immer noch aus wie Schäferhütten. Aber innen sind sie mit Möbeln aus Akazienholz und handgemachtem Keramikgeschirr, Solarduschen und biologischen Toiletten ausgestattet. Wer sich von Ioannis den Schlüssel abholt, der alle vier Hütten sperrt, kann nun die ganze Insel zu Fuß umrunden.

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Schon am ersten Tag zeigt sich Santa Maria von ihrer verführerischsten Seite. Gemütliche vier Stunden führt der Weg an den Klippen der Südküste entlang. Die Sonne lässt das sattgrüne Gras duften, hundert Meter tiefer wirft sich der Ozean an die Felsen. Menschen treffen wir keine, dafür Kühe, Schafe und Pferde, blühende Kakteen und Agaven von stattlicher Größe. Schon wenige Schritte hinter Vila do Porto beginnt die Stille, von der Rita so geschwärmt hat.

Nach einem steilen Abstieg wartet der nächste Höhepunkt. Der Azoren-Archipel hat zwar 700 Kilometer Küste, aber nur fünf davon sind Sandstrände. Einer der schönsten, der treffend Praia Formosa genannt wird, liegt vor uns. Ein Kilometer weicher Sand verführt schon am ersten Nachmittag zu einem Sonnenbad.

Weil es aber die überwundenen Hindernisse sind, die den Willen stärken und Zufriedenheit schaffen, wartet am Ende der ersten Etappe noch ein steiler Anstieg. Oben steht das Häuschen, zu dem unser Schlüssel passt. Drin am gedeckten Tisch: eine Flasche Wein und eine Keramikschale mit Fischeintopf. Rita hat ihn gekocht, Ioannis hergebracht. In eine Kühltruhe haben sie Frühstück und eine Jause für morgen gepackt. Draußen duftet es nach wildem Fenchel, Oregano und Kamille. Die Grillen zirpen, und der Blick aufs Meer ist frei.

Die Azoren liegen mitten im Atlantischen Ozean. Nach Portugal sind es 1.400 Kilometer, nach Nordamerika 3.600. Im Norden liegt irgendwo Grönland, im Süden kommt nur die Antarktis, irgendwann. Fernab von jeder Festlandküste und vier Gehstunden vom einzigen größeren Ort der Insel entfernt, sind wir in diesem Häuschen schon am ersten Abend plötzlich sehr weit weg.

Wandern Azoren
Foto: Pepe Brix
Ioannis (links) hat mit Freunden Steinhäuser am Weg als Unterkünfte renoviert

Uns geht es gut

Am nächsten Tag in der Früh nieselt es, als würde der Himmel seinen Kräutergarten gießen. Dona Helena, die 82-jährige Nachbarin, tischt uns frisch gebackene Biscoitos de Orelha auf, „Ohrenkekse“ aus Mürbteig. Sie legt beim Feuer nach und erzählt. Von ihrer Kindheit auf der Insel, als viele Leute so arm waren, dass ihnen keine andere Wahl blieb, als auszuwandern. Von der Zeit während des Zweiten Weltkriegs, als die Amerikaner Santa Maria zur reichsten Insel des ganzen Archipels machten, weil hier eine Luftwaffenbasis etabliert wurde. Und von den Sechzigerjahren, als die Amerikaner gingen und die Armut zurückkehrte.

Erst seit den letzten Jahren ist wieder Geld da, um Straßen und Stromleitungen zu bauen und die Häuser zu streichen. „So soll es bleiben“, sagt Donna Helena, „uns geht es gut hier.“

Wie zum Beweis kommt die Sonne hervor. Über Weiden, Hügel und durch Nebelfelder führt die nächste Etappe zum östlichsten Zipfel der Insel. Alle halben Stunden ändern sich Landschaft und Wetter. Nach den Wiesen kommt ein Wasserfall, eine Felsformation aus schwarzem Lavastein, ein Bach, der durch den starken Regen zum Fluss geworden ist. Bald taucht das nächste Steinhäuschen auf. Der Schlüssel passt. Das Abendessen wird am Campingkocher aufgewärmt, die nassen Schuhe werden vor dem Kaminofen getrocknet.

Wandern Azoren
Foto: Pepe Brix
Ein Hauch von Outback auf der Schlussetappe: Am letzten Tag geht’s durch die Deserto Vermelho, die Rote Wüste, nach Westen

Gipfeltag

Ab jetzt geht es nach Norden. Die Häuser in den Dörfern sind mit Kalk geweißt. Flamingoblumen, Lilien und Amaryllis – das Sortiment eines europäischen Blumengeschäfts – blühen hier am Wegrand. Im Wald wuchert wilder Ingwer. Wir machen Höhenmeter: hinab zum Meer, ein Mittagessen am Strand, danach wieder bergauf durch die Terrassen der Weinberge.

Wieder ändert sich die Landschaft abrupt. Die Klippen fallen noch steiler ab, die Moose und Gräser sind robuster. Ein Leuchtturm markiert den nördlichsten Punkt der Insel. Dahinter liegt der Ort Norte, dessen Name schlicht Norden bedeutet. Hier ist es kühler und windiger.

Der vierte Tag ist Gipfeltag. Durch einen märchenhaften Wald aus hohen Zedern und bunten Blüten steigen wir zurück ins Inselinnere und hinauf auf den Pico Alto, den mit 587 Metern höchsten Punkt von Santa Maria. Wie so oft liegt der Berg heute in den Wolken. Von oben bekommt man den besten Eindruck, was der Weg noch bereithält: den Abstieg zum nächsten Steinhäuschen – und am Tag darauf einen langen Marsch durch die Steppe.

An der Nordküste entlang wandern wir Richtung Westen. Nach einer Stunde durch niedrige Gräser durchqueren wir die Deserto Vermelho, die Rote Wüste. Sie ist zwar nur so groß wie fünf Fußballfelder, doch der kupferrote lehmige Boden erinnert an das australische Outback. In der Ferne flimmert die Silhouette der Ilha de São Miguel, der großen Nachbarinsel. Es ist nach fünf Tagen das erste Anzeichen dafür, dass noch eine Welt außerhalb von Santa Maria existiert. Wir hatten sie gar nicht vermisst.

Infos und Adressen: Wandern auf den Azoren, Atlantischer Ozean

Azoren
Foto: Bergwelten
Azoren

Ankommen

TAP Air Portugal fliegt nach Ponta Delgada auf die Insel São Miguel. Von dort bietet Azores Airlines mehrmals täglich Verbindungen auf die anderen acht Inseln des Archipels. Auf allen Inseln ist der öffentliche Verkehr so schlecht ausgebaut, dass sich ein Mietauto empfiehlt. Nur Santa Maria kann man autofrei zu Fuß umwandern.

Essen und Schlafen

Bio-Wohnzimmer

Das Restaurant von João und Bárbara ist das Wohnzimmer der jungen Szene von Santa Maria. Sie trifft sich hier nicht nur wegen der Biospeisen, sondern auch zu regelmäßigen Konzerten, Ausstellungen und Lesungen. Auch ohne Hunger lohnt sich ein Besuch, um ins Inselleben einzutauchen.

Espaço em Cena
Lugar Mãe de Deus 12, Vila do Porto, Santa
Maria 9580-480, Tel.: +351/961/80 94 46

Boutique-Hotel

Nobler als im Boutique-Hotel Charming Blue kann man in Santa Marias Hauptstadt Vila do Porto nicht wohnen:
Die 15 Zimmer sind individuell eingerichtet, der Pool ist beheizt, der Spa erstklassig und das Frühstücksbuffet üppig.

Charming Blue
Zimmer ab ¤ 75 pro Nacht
Rua Teófilo de Braga 31, Vila do Porto,
Santa Maria 9580-535,
Tel.: +351/296/88 20 83,
www.charmingblue.com

Boutique-Hotel Charming Blue
Foto: Boutique-Hotel Charming Blue
Boutique-Hotel Charming Blue

Romantische Abgeschiedenheit

Wer sich in jene Ecke der Insel zurückziehen möchte, in der das Handy garantiert keinen Empfang hat, quartiert sich am besten in der Casa do Norte von Laurinda ein. Sie funktionierte das alte Bauernhaus am Nordkap von Santa Maria zu einer heimeligen Pension um und wurde dafür schon mit Preisen ausgezeichnet. Bei Laurinda bleibt man mindestens drei Tage und bezahlt dafür ab EUR 60 pro Doppelzimmer.

Casa do Norte
Lugar do Norte, Santa Bárbara,
Vila do Porto, Santa Maria 9580-108,
Tel.: +351/910/64 94 07,
www.norteazores.com

Wandern

Santa Maria: Rund um die Insel

Rita und Ioannis Rousseau bieten mit fantastisch renovierten Steinhäuschen die Möglichkeit, die Insel in fünf Tagen zu umrunden. Vier Übernachtungen mit allen Mahlzeiten und Gepäcktransport kosten ab EUR 275 pro Person. Die Hütten werden – je nach Buchungslage – mit bis zu fünf Gästen geteilt. Wer das nicht möchte, kann auch die ganze Hütte buchen.

  • Ausgangspunkt: Vila do Porto
  • Strecke: 81 km Dauer: 5 Tage
  • Infos und Buchung: www.ilhape.com

Pico: Auf den höchsten Gipfel

Ehrgeizige lassen es sich auf den Azoren nicht nehmen, den höchsten Berg Portugals zu besteigen. Der 2.351 Meter hohe Pico liegt auf der gleichnamigen Insel und ist an einem Tag zu schaffen. Alpinistische Erfahrung ist nicht nötig, Kondition und Trittsicherheit schon. Das größte Hindernis ist oft das Wetter. Vor dem Aufstieg muss man sich im Besucherzentrum am Beginn des markierten Weges registrieren.

  • Ausgangspunkt: Cabeço das Cabras
  • Strecke: 8,4 km
  • Dauer: 6 bis 8 Stunden
Wandern Azoren
Foto: Pepe Brix
Mitten im Atlantik verhelfen die Azoren zum befreienden „Weit, weit weg“-Gefühl

São Miguel: Vulkankrater-Tour

Auf der größten Insel führen viele Touren nicht an ihren Ausgangspunkt zurück; man braucht daher häufig sowohl ein Auto als auch ein Taxi. Die eindrucksvolle, aber sehr lange Rundtour führt am kreisrunden Kraterrand des Vulkans Sete Cidades entlang. In die Caldera eingebettet liegen zwei verschiedenfarbige Kraterseen.

  • Ausgangspunkt: Vista do Rei
  • Strecke: 19 km
  • Dauer: 6 bis 7 Stunden

Touren auf den Azoren

  • Lesen

    Routenplanung

    Wegbeschreibungen, Wanderkarte und GPS-Daten für fast alle Wanderwege auf den Azoren gibt es zum Download auf der Seite des Tourismusverbandes.
    www.trails.visitazores.com

    77 Touren

    Detaillierte Beschreibungen zu Touren auf allen neun Inseln bietet dieses Buch. „Azoren: Die schönsten Küsten- und Bergwanderungen“, Bergverlag Rother, EUR 14,90.

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