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Entdecker

Ein Tag mit Abenteurer-Legende Sir Ranulph Fiennes

• 22. März 2016
8 Min. Lesezeit
von Martin Foszczynski

Er war der erste Mensch, der Nord- und Südpol zu Fuß erreichte, bestieg trotz Höhenangst die Eiger-Nordwand und stand als ältester Brite am Gipfel des Mount Everest.
Bergwelten traf Abenteurer-Legende Sir Ranulph Fiennes in London. Ebenso wie Kletterstar James Pearson. Anlässlich des Europa-Launchs einer neuen Trainings-App der kalifornischen Outdoor-Marke The North Face verrieten sie, was sie antreibt an ihre schier unglaublichen Grenzen zu gehen.

Sir Ranulph Fiennes
Foto: Sissi Pärsch
Sir Ranulph Fiennes
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Sir Ranulph Fiennes ist ein Gentlemen wie aus dem Bilderbuch. Der zweiundsiebzigjährige Brite steht kerzengerade vor dem Rednerpult – eine Hand ruht in der Hosentasche, während er mit der anderen elegant zu seinen Ausführungen gestikuliert.

Erst beim zweiten Hinsehen fällt auf, dass ihr die Fingerglieder fehlen. Das „Making-of“-Foto prangt wenig später riesengroß von der Leinwand der Studio Spaces im Zentrum von London, wohin The North Face Outdoor-Journalisten aus ganz Europa geladen hat. Ein erschrockenes Raunen geht durch die Reihen, schwillt an, als wollte es die Abbildung wieder vertreiben. Von Fiennes Fingern hat sich die Haut gelöst, wodurch das nackte rote Fleisch freiliegt. Der Rest des Klumpens, der mal seine linke Hand war, ist mit Frostbeulen und Eiterherden garniert. „Das war nach der Nordpol-Expedition im Jahr 2000. Ich war alleine unterwegs – ausgehend von einer kanadischen Insel lagen 770 km Wegstrecke vor mir, alles über Eis. Dann knackste es. Einer meiner zwei Schlitten mit insgesamt 230 kg Ausrüstung und Proviant für 90 Tage rutschte unter eine Eisscholle – mir blieb nichts anderes übrig  als ins Wasser zu greifen und ihn herauszuziehen.“

Binnen Sekunden waren Fiennes Finger gefroren und weiß wie Elfenbein. Er ließ sich am nächsten Tag ausfliegen. Zuhause empfahl ihm sein Chirurg, die abgestorbenen Fingerglieder vor dem Amputieren fünf Monate dranzulassen, damit das Gewebe darunter nachwachsen kann. Nach vier Monaten hatte er genug. „Die schwarzen Finger sahen aus wie mumifiziert, die Schmerzen waren unerträglich. Ich wollte sie nur noch loswerden.“

Also besorgte sich der Sir im nächsten Heimwerkerladen eine Laubsäge und fing an sie abzuschneiden. Er begann mit dem kleinen Finger und fixierte ihn dazu im Schraubstock einer Black & Decker-Werkbank. Er schnitt an der Grenze zum toten Gewebe und setzte immer wieder höher an, sobald es blutete. In zwei Tagen war er durch. Für die ganze Hand brauchte er sechs Tage. Sir Fiennes verzieht nicht die geringste Miene, während er das schildert.

James Bond hätte geflennt vor Schmerzen

Sir Ranulph Fiennes - über einige Ecken mit Briten-Prinz Charles verwandt - wurde vom Guinness Buch der Rekorde als größter lebender Entdecker unserer Zeit bezeichnet. Er ist ein Meister des trockenen englischen Humors, erzählt mit einem Sarkasmus, der Monty Phyton alle Ehre machen würde - dabei ist es eigentlich Ungeheuerliches, das er im Laufe seines Abenteurer-Lebens geleistet hat. In Großbritannien geboren, verbrachte er einige Kindheitsjahre mit seiner Mutter in Südafrika. Seinen Vater – Oberstleutnant eines schottischen Kavallerie-Regiments – lernte er nie kennen, da er vier Monate vor seiner Geburt an der Front starb. Wohl nicht ganz zufällig strebt auch der junge Ranulph eine Soldatenkarriere an, dient bei den Royal Scots Greys, der Spezialeinheit seines Vaters, die ihn während des Kalten Kriegs auch nach Deutschland führte. In der Nähe von Bremervörde in Niedersachsen erhält er eine umfassende Outdoor-Ausbildung.
Die Army wird ihm aber bald zu langweilig, er sucht neue Herausforderungen. Auf frühen Fotos sieht er aus wie ein junger James Bond, nur verwegener. Auf einem posiert er mit gezückter Kalaschnikow an der Seite muslimischer Kämpfer – irgendwo im Kriegsgebiet des Oman, dessen Sultan er vor dem Hintergrund eines drohenden marxistischen Aufstandes diente.
 

Sir Ranulph Fiennes
Foto: Sir Ranulph Fiennes
Sir Ranulph Fiennes

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Vom Soldaten zum Entdecker

1969 geht er erstmals auf Expedition. Gemeinsam mit Frau Ginnie durchquerte er in 9 Monaten den Weißen Nil auf einem kleinen Luftkissenboot – stromaufwärts. Zwischen 1979 und 1982 umrundet er die Erde entlang ihrer Polachse. Dabei bewältigte er die Nordwestpassage – den rund 5.000 km langen Seeweg zwischen Nordatlantik und Pazifik – im offenen Boot. Ranulph Fiennes hat als erster Mensch sowohl den Nordpol als auch den Südpol auf dem Landweg erreicht. 1992 entdeckte er in den Dünen des Oman die sagenhafte untergegangene Stadt Ubar. 1993 durchquerten er und Dr. Mike Stroud als erste Menschen den antarktischen Kontinent aus eigener Kraft. Sie brauchten dafür 3 Monate, zogen Schlitten hinter sich her und aßen Butterschmalz mit Haferflocken – bei Temperaturen bis minus 40 Grad. 2013 versuchte es Fiennes abermals, dieses Mal aber alleine und im Polar-Winter. Das Projekt endete mit der Evakuation vom Südpol.

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Der späte Bergsteiger: mit 65 Jahren am Everest

Spät aber doch wagte sich der Zeit seines Lebens an Höhenangst Leidende auch in die Vertikale. 2007 bewältigte er – nach ein paar Wochen Klettertraining – die Eiger-Nordwand („Ich sah einfach nicht hinunter“), 2009 bestieg er als ältester Brite (damals 65 Jahre) den Mount Everest. Beim ersten Versuch vier Jahre davor hatten ihn die Leichen zweier zu Tode gekommener Bergsteiger auf über 8.000 m zum Rückzug bewogen, Atemnot und Höhenkrankheit taten ihr Übriges. Nun gilt er als einziger Mensch, der sowohl auf dem höchsten Punkt der Erde stand, als auch beide Polarkappen überquerte.
 

Sir Ranulph Fiennes in London
Foto: Martin Foszczynski
Sir Ranulph Fiennes in London

Warum er all diese Strapazen auf sich nimmt, nur um etwa als erster Mensch die Antarktis im Winter zu überqueren, möchte die kopfschüttelnde Moderatorin nach dem packenden Ein-Stunden-Vortrag wissen. „Weil ich Geld verdienen muss“, antwortet der Sir trocken. „Und weil es die Norweger sonst vor mir getan hätten“. An Orte vorzudringen, an denen zuvor noch niemand war, Dinge zu erreichen, die zuvor noch keiner erreichte – das übe eine ungeheure Faszination auf ihn aus. Der Weg dorthin sei freilich mit Krisen gespickt. Die Angst klammere er aber aus, überlege sich stattdessen, welche Schritte in einer Notsituation zu setzen wären. In besonders schweren Momenten denke er nicht etwa an Gott oder an den Ruhm, sondern an seine Großeltern. „Ich habe diese Menschen nicht sonderlich gut gekannt. Aber es waren anständige Menschen. Die Gedanken an sie haben mich stets vorangetrieben.“

Und auch das Scheitern gehöre dazu. Rund die Hälfte aller seiner Expeditionen musste Fiennes abbrechen, alleine zwischen 1986 und 96 versuchte er sechsmal vergebens auf den Nordpol zu gelangen. Dann gelte es aber neue Wege, neue Perspektiven zu finden. Das tat Sir Fiennes auch 2003, nur 4 Monaten nach einer Bypass-Operation. Anstatt zurückzustecken absolvierte er in sieben Tagen sieben Marathons – auf sechs verschiedenen Kontinenten. Auch heute liegt der Senior keineswegs auf der faulen Haut. Das Training aber werde im Alter deutlich beschwerlicher, gesteht er ein.

James Pearson – der Superstar von nebenan

James Pearson wirkt wie der nette Kerl von nebenan. Schon vor seinem Vortrag mischt sich der schlaksige britische Klettersuperstar ohne Berührungsängste unters Volk. Auf der Bühne verblüfft auch er mit seiner Eloquenz. Offenbar gehört das sichere Auftreten im Stil eines Motivationscoachs zu den Anforderungen moderner Extremsportler dazu. James meistert diese Aufgabe mit Bravour.

Am Fels freilich muss er niemandem mehr etwas beweisen – seine Leistungen sprechen für sich. In Zentral-England, an der Grenze zum Peak District Nationalpark, aufgewachsen, trieb ihn schon als Kind nur ein einziger Gedanke um: Raus in die Natur, rauf auf die Berge, die Umgebung entdecken. Mit 15 begann er zu klettern und fiel bald durch seinen eleganten Stil auf, mit 19 galt er bereits als einer der größten britischen Kletterstars. Noch heute stachelt ihn die Neugierde an: „Du kannst jeden einzelnen Tag etwas Neues oder etwas Anderes klettern. Diese Vielseitigkeit ist es, was ich an diesem Sport wirklich liebe.“

Obwohl er als Kletterer längst an der Weltspitze angelangt ist, will James immer noch mehr: In den letzten Jahren hat das Allround-Talent (Sportkletterrouten bis 9a, Boulder bis V13) vor allem die Grenzen des Traditional Climbing gesprengt. Mit The Groove (E10, 7b) und The Walk Of Life (E12, 7a) durchstieg er 2008 erstmals zwei der schwierigsten Routen der Welt, der „ground up“-Durchstieg des Muy Caliente, einer E10-Route an den Kliffen von Pembrokeshire in Wales, markierte 2011 einen weiteren Höhepunkt. Im Herbst 2014 schließlich durchstieg er mit Rhapsody in Dumbarton (Schottland) die erste E11-Route der Welt.
 

James Pearson
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Hartes Training und Schoko-Brownies

Eines hat der 1985 geborene Jungspund mit dem Abenteurer-Sir Fiennes gemeinsam: Beide entdeck(t)en die Welt gerne in Gefolgschaft ihrer Lebensgefährtinnen. Während (die 2004 verstorbene) Ginnie Fiennes mit Ranulph einst halsbrecherisch den Nil hochfuhr, sammelt James mit der Profikletterin Caroline Ciavaldini Sonnenauf- und Untergänge von den Philippinen bis Südafrika und eröffnet mit ihr einige der schwierigsten Freikletterrouten der Welt.

Sie trieb ihn auch zum Durchstieg der Rhapsody, die ihn 6 Jahre zuvor abgeworfen hatte. Dazu erstellte sie einen rigorosen mehrmonatigen Trainingsplan und achtete auf seine Einhaltung. „Caroline öffnete mir die Augen und verriet mir das Erfolgsgeheimnis, nach dem ich so lange suchte: Es gibt kein Geheimnis, nur hartes Training“, sagt der Ausnahmeathlet mit ausgeprägtem Faible für Schokolade-Brownies. „Über Training wird selten geredet – dabei ist es der wichtigste Part“. In Südfrankreich, wo er mittlerweile seine Home-Base aufgeschlagen hat, richtete er sich einen speziellen Trainingsraum ein, der alle Stückchen spielt. Was ihn beim Schuften motiviert: „Leute, die etwas erreichen, von dem sie dachten, dass es für sie völlig unmöglich sei.“ So wie Sir Ranulph Fiennes.

 

After being away from the UK trad climbing scene for a couple of years, where he mainly sport climbed, James wanted to go back to his speciality and decided to attempt to flash for the first time an E10 route, Pembroke's Muy Caliente.


James Pearson klettert mit Muy Caliente in Pembrokeshire (Wales) erstmals eine E10-Route

Nach einer kurzen Kaffeepause ist Schwitzen angesagt. The North Face hat uns mit Sport-Klamotten aus der neuen Mountain Athletics-Kollektion versorgt. Sie ist besonders widerstandsfähig und auf den Outdoor-Trainingsgebrauch ausgerichtet. Außerdem sieht sie schick aus, was nicht weiter verwundert. Das 1966 in San Francisco gegründete Unternehmen hat es längst vom Hersteller von Bergsteigerausrüstung zur modetauglichen Lifestyle-Marke mit reichlich Coolness-Faktor geschafft. Ein Image, das schon bei der Eröffnung des ersten Stores befeuert wurde: Damals traten The Grateful Dead auf, während die Motoradrocker Hells Angels für die Security sorgten. Die eigentliche Hauptrolle der neuen Produktlinie spielt aber nicht die Bekleidung, sondern die kostenlose Mountain Athletics-App, die auf das funktionelle Training von Bergsportlern – etwa in den Bereichen Klettern oder Trail-Running – ausgerichtet ist.

Wofür trainierst du?

Bevor es ans Eingemachte geht, sollen wir auf eine große Tafel unsere Trainingsziele für das Jahr 2016 notieren. Unter dem Motto „Ich trainiere für...“ stehen bald so unterschiedliche Dinge wie „Yukon Arctic Ultra“, „Everest Base Camp“, Rim-Klettern im Grand Canyon aber auch ein Bike-Trip mit Kind, „mehr Reisen“, „be active“ oder schlicht „a better me“ auf der Tafel. Vor dem schwarzen Hintergrund wirken alle Ziele gleichberechtigt.
 

Trainieren mit James Pearson

Während stiernackige Trainer die Meute unter ohrenbetäubendem Lautsprecher-Lärm und im Stil eines Militärcamps zum Zirkeltraining anstacheln und James Pearson Parcours auf und ab wieselt, sitzt Sir Fiennes im Nebenzimmer fast etwas verloren an seinem Buchverkaufs-Tischchen. Vielleicht in Gedanken an all die Geschichten, die seine in Plastik eingeschweißten Wälzer füllen. Viele Abenteuer scheinen für ihn in Zeiten von GPS und Superfunktionskleidung nicht mehr übriggeblieben zu sein. „Wäre ich heute ein junger Mann, würde ich wohl die Tiefen der Ozeane erkunden,“ verriet er einmal dem Guardian. „Denn davon sind 90 % noch unerforscht“.

Sir Ranolph Fiennes
Foto: Sissi Pärsch
Sir Ranolph Fiennes

Vielleicht denkt er aber auch nochmal an die frühen Siebziger Jahre und daran, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er ein „Ja“ statt eines „Nein“ zur Antwort bekommen hätte. Damals, Ende 20,  bewarb er sich nämlich für die Rolle des James Bond und schaffte es unter die letzten sechs. Der Regisseur aber befand, dass er etwas zu bäuerlich aussehe und zu große Hände habe. Roger Moore streifte den Job ein.
 
Offenlegung: Die Reise nach London erfolgte auf Einladung von The North Face und crystal communications.


Buchtipp:

  • Sir Ranulph Fiennes: Cold: Extreme Adventures at the Lowest Temperatures on Earth,  Simon & Schuster Ltd
  • Sir Ranulph Fiennes: Mad, Bad & Dangerous to Know: The Autobiography
  • Sir Ranulph Fiennes:  Beyond the Limits: The Lessons Learned from a Lifetime's Adventures, Little Brown and Company


Filmtipp:

  • Redemption: The James Pearson Story: Download

The North Face/ Mountain Athletics:

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